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  4. Stammzellen: Tiere als Ersatzteillager für Menschen

Meinung Chimären

Mensch oder Schwein, das ist hier die Frage

US-Forscher pflanzen menschliche Stammzellen in Schweinembryos

In den USA haben Forscher menschliche Stammzellen in Schweineembryos verpflanzt. Innerhalb weniger Wochen bildeten sich menschliche Organe. Kritiker warnen vor unabsehbaren Folgen der Kreuzung von Mensch und Schwein.

Quelle: N24/ Matthias Ludwig

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Die Petrischale im Labor ist zum Schlachtfeld ethischer Grundsatzdebatten über die Stammzellenforschung geworden: Dürfen Tiere als „Bioreaktor“ zum Ersatzteillager menschlicher Organe gemacht werden?

Als sei die politische Weltlage zwischen Trump-Irrsinn und Putins Zaren-Wahn nicht aufregend genug, macht gerade eine irritierende Meldung aus der Wissenschaft Furore: Kalifornische Forscher haben Schweine-Embryos menschliche Stammzellen injiziert, aus denen Gewebe entsteht, das später zur Züchtung menschlicher Organe dienen könnte.

Droht am Ende gar eine ausgewachsene Chimäre, ein Zwitterwesen aus Mensch und Schwein, ein schlachtreifes Rüsseltier mit dem Gehirn eines C-4-Professors für Vergleichende Romanistik?

Diese 16-Jährige singt für ihr Leben

Die 16-jährige Stella aus Rees in Nordrhein-Westfalen leidet an einer seltenen Muskelerkrankung. Die Ärzte sagen, sie wird nicht älter als 20 Jahre werden, doch damit gibt sie sich nicht zufrieden.

Quelle: Die Welt

Reflexhaft schwirren uns Halbgebildeten Wörter und Begriffe durch den Kopf, die den Mythen der europäischen Kulturgeschichte entstammen: Prometheus und Dr. Frankenstein, die Insel des Dr. Moreau und griechische Zentauren, Homo Faber und Homunkulus, nicht zuletzt die „Dialektik der Aufklärung“ von Adorno und Horkheimer und die ewige Frage: Wo sind die Grenzen der Wissenschaft, genauer: Wann schlägt der Fortschritt der Erkenntnis in sein Gegenteil um – in neue Unterwerfung und Knechtschaft.

Precht wiegt den Kopf

Am Beispiel der gentechnischen Möglichkeiten, etwa der Früherkennung von Erbkrankheiten, wird all das bereits heftig diskutiert. Schon lange ist die Petrischale im Labor zum Schlachtfeld ethischer Grundsatzdebatten über die Stammzellenforschung geworden: Dürfen Tiere als „Bioreaktor“, als Ersatzteillager menschlicher Organe benutzt werden?

Rechtfertigt die unheilbare Krankheit eines Menschen die Züchtung von Transplantationsorganen in anderen Lebewesen, deren Risiken nicht wirklich überschaubar sind. Sind die Argumente der Befürworter nur vorgeschoben, um persönliche Interessen zu legitimieren?

Millionen Tiere sterben jährlich bei Tierversuchen

In der Kosmetikbranche sind Tierversuche in der EU inzwischen verboten. In der Medizin sind sie allerdings immernoch üblich und beim Test neuer Medikamente sogar gesetzlich vorgeschrieben.

Quelle: Die Welt

Nicht nur Chef-Ethiker wie Richard David Precht („Tiere denken. Vom Recht der Tiere und den Grenzen des Menschen“) wiegen bedenklich den Kopf, während die Forscher auf die ungeahnten pharmazeutischen wie medizinischen Möglichkeiten verweisen. Stehen sich hier also Fortschritt und Moral, historisch oft Verbündete, plötzlich als Feinde gegenüber?

Beim Schwein hört der Spaß auf

Ausgerechnet beim Schwein hört offenkundig bei vielen der Spaß am Debattieren und Philosophieren auf. So beliebt das rosafarbene Rüsseltier als zuverlässiger Lieferant von Wurst und Schinken, Schnitzel und Schweinskopfsülze ist – wie die Grüne Woche in Berlin auch dieses Jahr wieder eindrucksvoll bewiesen hat –, so wesensfremd scheint der Vierbeiner mit dem Kringelschwänzchen doch dem edlen Homo sapiens. Schweinenieren nicht auf dem Teller, sondern im eigenen Körper? Bitte nicht!

Völlig unnötig oder unverzichtbar?

Am internationalen Tag der Versuchstiere wollen Tierschützer auf das Schicksal der gequälten Kreaturen aufmerksam machen. Rund 130 Millionen Tiere sterben jedes Jahr im Dienste der Wissenschaft.

Quelle: Die Welt

Spötter bemerken, Muslime wüssten das schon seit je. Absolut „haram“, tabu, ist das „unreine“ Schwein und hat in der Nähe von Menschen sowieso nichts zu suchen – schon gar nicht, um ihm irgendwann später eine gezüchtete Leber für den todkranken Onkel in Dinslaken zu entnehmen.

Hier offenbart sich der unschlagbare Vorteil der islamischen Weltanschauung gegenüber der prinzipiell skeptisch-kritischen DNA der europäischen Zivilgesellschaft: Der binäre Moral-Code „halal/haram“ braucht keine fünfzigköpfige Ethikkommission mit Sondervotum und Extra-Gutachten. Allah genügt.

Das Schwein ist nicht halal

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Doch auch in der christlich-abendländischen Tradition hat das Schwein bei aller Vorfreude auf die nächste Hausschlachtung keinen wirklich guten Ruf. Als alltägliches Schimpfwort von Mensch zu Mensch steht es ganz oben auf der Beliebtheitsskala, und auch in der politischen Auseinandersetzung unter Parteifreunden ist es unentbehrlich.

„Versucht, an Mittel zu kommen, um ihr Leben zu finanzieren“

Seit Jahren wird nach den RAF-Terroristen Garweg, Staub und Klette gefahndet. Nun gibt es neue Spuren: Sie stehen im Verdacht, mehrere Raubüberfälle verübt zu haben - offenbar aus Geldnot.

Quelle: Die Welt

Legendär und bis heute im antifaschistischen Gebrauch ist der volkstümliche Begriff des „Schweinesystems“, das die Lektüre des marx-engelsschen Gesamtwerks in einer Tiermetapher bündig auf den Punkt bringt.

Auch in den berüchtigten Kommandoerklärungen der RAF tauchte das Schwein häufiger auf als der tendenzielle Fall der Profitrate. Während des Hungerstreiks im Oktober 1974 schrieb der kurz darauf verstorbene Holger Meins an seine Kampfgenossen:

Das Schweinesystem

„Wenn Du weißt, dass mit jedem SCHWEINESIEG die konkrete Mordabsicht konkreter wird und Du machst nicht mehr weiter mit, bringst Dich in Sicherheit, gibst den SCHWEINEN damit einen Sieg, heißt lieferst uns aus, bist Du das Schwein, das spaltet und einkreist, um selbst zu überleben, und dann halt die Fresse von ‚wie gesagt: die Praxis. Es lebe die RAF. Tod dem Schweinesystem‘. Entweder Schwein oder Mensch.“

Affe steuert Rollstuhl mit Gedankenkraft

Rhesus-Affen fahren durch das Labor der Duke-Universität. In ihrem Gehirn befinden sich Elektrodenbündel, die ihnen Kontrolle über die Bewegung ermöglicht. Anreiz für sie ist eine Schale mit Trauben.

Quelle: Duke-Universität

Bittere Ironie könnte nun darin liegen, dass die kapitalistische Spitzenforschung dieses revolutionäre Credo mit Pipette und Petrischale untergräbt und das Schwein im Menschen ganz unmetaphorisch, gleichsam naturwüchsig einpflanzt, während es doch eigentlich Stammzellen des Menschen sind, die ungefragt das Schwein infiltrieren.

Wenn das mal nicht die allerneueste Dialektik des Schweinesystems ist.

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