Kennzeichnungspflicht als Diskriminierung oder als Recht auf informierte Entscheidung? (Bild: SAG, erstellt mithilfe von KI)
In der EU läuft die Debatte um die Ausgestaltung eines Gesetzes für die Deregulierung von Pflanzen aus neuer Gentechnik (NGT) auf Hochtouren seitdem am 14. März ein Kompromissvorschlag der polnischen Ratspräsidentschaft eine knappe Mehrheit unter den ständigen Vertretern der EU-Mitgliedsstaaten erzielt hatte. Auch die Industrie und Zivilgesellschaft äussern sich zur aktuellen Diskussion.
Umstrittene Punkte in der Debatte: Kennzeichnungspflicht und Rückverfolgbarkeit. Denn dem polnischen Vorschlag entsprechend müssten NGT-Pflanzen und Produkte weder gekennzeichnet werden noch rückverfolgbar sein. Das EU-Parlament hingegen spricht sich ausdrücklich für beides aus.
Stellungnahme der Agrarindustrie für einen Verzicht auf Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit
Ende April äusserten sich nun einige Vertretende der Agrar- und Ernährungsindustrie zum Thema. In ihrer Stellungnahme fordern die 27 unterzeichnenden Unternehmen (darunter Euroseeds und Copa-Cogeca) von der EU, auf eine Pflicht zur Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit zu verzichten.
Sie begründen ihre Forderung mit der weit verbreiteten Falschannahme, NGT-Pflanzen liessen sich nicht von natürlich entstandenen unterscheiden – daher seien Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit weder nötig noch möglich. Eine Kennzeichnungs- und Rückverfolgbarkeitspflicht für Produkte aus NGT würde ausserdem zu ungerechtfertigten Kosten und Durchsetzungsproblemen führen und sei unverhältnismässig, handelsstörend und diskriminierend.
Insbesondere das Argument der Diskriminierung stösst der SAG dabei sauer auf. Denn den Unterzeichnenden ist durchaus bewusst, dass viele Konsument:innen bei einer Kennzeichnung bewusst auf NGT-Produkte verzichten würden. Doch statt diesen Wunsch nach Transparenz zu respektieren, behaupten sie, es fehle an Wissen über die Sicherheit dieser Produkte oder am Verständnis für die «präzise» Technik dahinter. Mit der Forderung, keine Kennzeichnung einzuführen, sorgen sie für Intransparenz, übergehen gezielt den Willen der Konsumierenden und nehmen ihnen ganz bewusst das Recht auf eine informierte Entscheidung.
Gegenstellungnahme für Transparenz und den Schutz der gentechnikfreien Produktion
Als Reaktion auf die Stellungnahme haben sich nun 49 Organisationen und Unternehmen darunter Bio-Saatgutzüchter, Landwirte, Lieferkettenbetreiber, Verbraucher- und Umweltorganisationen zu Wort gemeldet. In ihrer Gegenstellungnahme kritisieren sie die Forderungen der Agrarindustrie unter Berufung auf den Schutz des gentechnikfreien konventionellen und ökologischen Ernährungssektors und den Konsumentenschutz.
Ein Verzicht auf Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit würde den gentechnikfreien Sektor vor grosse Herausforderungen stellen und könnte sogar seine Existenz bedrohen. Ohne Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit steigt das Risiko einer Kontamination des gentechnikfreien Sektors. Sowohl beim Anbau als auch bei der Nutzung von Maschinen und während dem Transport könnte es zur unbeabsichtigten Kontamination durch NGT-Saatgut, Pflanzen und Produkte kommen. Dies würde zu enormen wirtschaftlichen Schäden und rechtlichen Problemen für gentechnikfreie Betriebe führen. Rückverfolgung und Kennzeichnung sind zudem notwendig, um Rechenschaftspflicht und Haftung nach dem Verursacherprinzip sicherzustellen.
Des Weiteren würde bei mangelnder Kennzeichnung das Recht der Konsumentinnen und Konsumenten auf Transparenz, informierte Entscheidung und Wahlfreiheit verletzt. Dies würde gegen EU-Recht verstossen, welches einerseits den Schutz und die Information von Konsumierenden festhält und andererseits Rückverfolgbarkeit als grundlegende und gesetzlich verbindliche Vorschrift etabliert.
Für eine zuverlässige Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung sollten Hersteller von NGT-Pflanzen und Produkten verpflichtet sein, die Nachweismethode für die vorgenommene genetische Veränderungen zu veröffentlichen.
Mögliche Auswirkungen auf die gentechnikfreie Produktion in der Schweiz
Obwohl der Schweizer Gesetzentwurf zur Deregulierung von Pflanzen aus NGT in Bezug auf Kennzeichnungspflicht und Rückverfolgbarkeit etwas strenger ist, würde ein Verzicht darauf in der EU aufgrund des freien Warenverkehrs zwischen der EU und der Schweiz hierzulande ebenfalls für Probleme und Ungewissheit für den gentechnikfreien Sektor führen.
Die SAG schliesst sich den Forderungen der Unterzeichnenden der Gegenstellungnahme an. Nur mit einer strengen Kennzeichnungspflicht kann die gentechnikfreie Züchtung und Landwirtschaft geschützt und das Recht der Konsumentinnen und Konsumenten auf Wahlfreiheit durchgesetzt werden. Aus diesem Grund unterstützt die SAG die Lebensmittelschutzinitiative. Unterschreiben auch Sie!