iucn  Bild: Shutterstock

Die Weltnaturschutzunion IUCN hat im Mai 2019 einen Bericht zur Beurteilung der synthetischen Biologie veröffentlicht. Nun kritisieren Experten internationaler Organisationen in einem offenen Brief an den IUCN Rat die fehlende Berücksichtigung kritischer Stimmen. Unter den vielen Unterzeichnenden befindet sich auch die SAG.

Die Folgen der gentechnischen Manipulation von Wildarten und deren Freisetzung in die Umwelt sind unvorhersehbar und möglicherweise irreversibel. Deshalb wäre eine ausgewogene Debatte über dieses wichtige, aber umstrittene Thema von grosser Bedeutung. Der Bericht, mit dessen Erstellung die IUCN eine Expertengruppe beauftragt hat, hätte dem Ziel dienen sollen, eine solche Debatte zu ermöglichen und die Informationsbasis für die kommenden politischen Diskussionen zu liefern. Denn auf dem Weltnaturschutzkongress der IUCN im Juni 2020 wird über die neue Politik der Organisation zum Umweltschutz und zur synthetischen Biologie abgestimmt.

Überraschenderweise spricht sich der Bericht nicht nur nachdrücklich für den interdisziplinären Forschungszweig der Life Sciences aus, sondern auch für Gene-Drive-Organismen. Letztere sind besonders problematisch, weil sie so konzipiert wurden, dass sie sich in der freien Wildbahn verbreiten und dazu fähig sind, Arten zu verändern oder sogar auszurotten. Da zurzeit kein wirksamer Kontrollmechanismus existiert, der diesen Prozess einschränken oder stoppen könnte, handelt es sich bei Gene Drives um unaufhaltbare Kettenreaktionen mit potentiell schwerwiegenden Folgen für das ganze Ökosystem.

Um die unerwartete Positionierung der weltweit grössten zu ergründen, hat die gemeinnützige Organisation ETC-Group (Action Group on Erosion, Technology and Concentration) die Autoren des Berichts durchleuchtet. Sie fand ein extremes Ungleichgewicht in der Zusammensetzung des Expertenteams. Bei mehr als der Hälfte der 40 Personen, die an der Verfassung des Berichts beteiligt waren, konnte ein Interessenkonflikt festgestellt werden. Demgegenüber hat die IUCN keinen einzigen Experten mit technologiekritischem Hintergrund eingestellt.

Das Expertenteam ist von drei Interessengruppen der Pro-Seite unverhältnismässig geprägt. Die Projekte Revive and Restore, Target Malaria und Genetic Biocontrol Invasive Rodents (GBIRd) investieren Millionen von Dollars in die synthetische Biologie, insbesondere in die Entwicklung und den Einsatz von Gene-Drive-Organismen. Mindestens 15 Autoren konnten mit diesen Projekten in Verbindung gebracht werden, darunter auch der Vorsitzende der Arbeitsgruppe, Kent Redford. Wie Redford, der seine Tätigkeit als Berater bei Dupont und Revive und Restore nicht deklariert hat, haben es mehrere weitere Mitglieder der Expertengruppe versäumt, relevante Informationen offenzulegen, die als potenzieller Interessenkonflikt hätte wahrgenommen werden können.

Kommt hinzu, dass 12 Mitglieder, inklusive Kent Redford, aktiv an einer Aktion der Emerging Ag Inc. beteiligt waren. Diese hatte im Geheimen versucht, das Online Open Forum der UN Biodiversitätskonvention zur Synthetischen Biologie zu beeinflussen. Emerging Ag Inc. ist ein PR-Unternehmen, das die Agrarindustrie unterstützt und von ihr finanziert wird.

Die Unterzeichnenden des offenen Briefes schlagen dem IUCN Rat vor, einen gleichwertigen Bericht von Experten erstellen zu lassen, die sich für einen Vorsorgeansatz einsetzen und das Thema synthetische Biologie kritisch beobachten. Dies sei unerlässlich, denn nur so könne über die zukünftige Politik der Organisation weiterdiskutiert werden.