Bis Ende 2023 wurden mehr als 20 internationale Patentanmeldungen für Resistenzzüchtungen gegen ein neues Virus bei Tomaten eingereicht. Bild: Shutterstock
Patentanträge grosser Saatgutunternehmen können negative Auswirkungen auf die Arbeit konventioneller Züchtungsunternehmen haben, dies zeigt No Patents on Seeds! am Beispiel von Tomaten mit einer Resistenz gegen das Tomato Brown Rugose Fruit Virus. Dieser Pflanzenkrankheitserreger wurde erstmals 2015 beschrieben und hat sich seitdem rasant ausgebreitet. Er befällt vor allem Tomaten- und Paprikapflanzen. Um das neue Virus hat sich in kurzer Zeit ein wahres Dickicht von Patenten gebildet. Die ersten Patentanmeldungen auf Tomatenpflanzen, die gegen das neue Virus resistent sind, wurden bereits 2018 und 2019 eingereicht. Bis Ende 2023 waren es mehr als 20 internationale Patentanmeldungen von zehn verschiedenen Unternehmen, darunter BASF, Bayer, Rijk Zwaan und Syngenta.
Dank neuer Gentechnik umfassender Patentschutz
Ausgangspunkt für fast all diese Patentanmeldungen ist die Entdeckung einer Genvariante in einer bestehenden Pflanze, die zu einer Resistenz führt und im Labor mit CRISPR/Cas nachgebildet wurde. Neue Gentechnikverfahren (NGT) werden also als technisches Hilfsmittel eingesetzt, um eine technische Erfindung geltend zu machen, ohne dass deren Einsatz tatsächlich notwendig wäre, folgert No Patents on Seeds!. Es entstehe der Eindruck, die NGT würden nur eingesetzt, um einen umfassenden Patentanspruch geltend zu machen. Die Gefahr sei gross, dass damit Neuzüchtungen, die durch Zufallsprozesse, wie sie in der konventionellen Züchtung verwendet werden, zum Gegenstand Patentklagen werden könnten. Dies kann zu einem erheblichen Nachteil für konventionelle Züchter werden, die keine gentechnischen Verfahren einsetzen wollen, aber mit den vielen natürlich vorkommenden Genvarianten problemlos resistente Sorten heranziehen könnten.
Die eingereichten Patentanmeldungen werden die konventionelle Züchtung verhindern, da sie sich auf Dutzende von natürlich vorkommenden Genvarianten beziehen. Damit werde den konventionellen Züchtern die Handlungsfreiheit genommen, folgert No Patent on Seeds! Denn unabhängige Zuchtunternehmen müssen befürchten, dass sie mit ihren neugezüchteten Sorten Patentrechte verletzen, auch wenn sie konventionelle Sorten als Ausgangspunkt verwenden.
Das Züchterprivileg fördert Innovation und Vielfalt
Das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) verbietet die Erteilung von Patenten auf Pflanzensorten und konventionelle Pflanzenzüchtung. Um neue Sorten zu erzeugen, haben europäischen Züchter freien Zugang zu allen konventionell gezüchteten Sorten oder einheimischen Pflanzen. Dies ist als Züchterprivileg bekannt und wird durch das Sortenschutzsystem garantiert, das Handlungsfreiheit gewährleisten und Innovation fördern soll. Das Patentverbot gilt jedoch nicht für gentechnisch veränderte Pflanzen, unabhängig davon, ob sie durch alte oder neue gentechnische Verfahren gewonnen wurden.
Obwohl Patente auf Pflanzensorten und konventionelle Pflanzenzüchtung in Europa eigentlich verboten sind, hat die in Europa gängige Praxis bei der Pantentvergabe dazu geführt, dass bereits Hunderte von Patenten auf konventionell gezüchtete Tomaten, Salat, Brokkoli, Mais und Gerste erteilt wurden und mehr als 1200 konventionell gezüchtete Sorten betreffen. Wie ist dies möglich? Wie eine Analyse zahlreicher Patentanmeldungen zeigt, wird die Zufallsmutagenese als "trojanisches Pferd" eingesetzt, um ein Patent auf eine konventionell gezüchtete Sorte zu erhalten.
Zufällige Mutationen können durch Sonnenlicht, Strahlung oder chemische Verbindungen ausgelöst werden. Diese Zufallsmutagenese wird seit Jahrzehnten in der Pflanzenzucht eingesetzt, ohne dass Patente auf diese Pflanzen angemeldet wurden, da im Sinne des europäischen Rechts diese zufälligen Mutationen aus nicht vorhersehbaren und nicht zielgerichteten Verfahren nicht als technische Erfindungen angesehen werden können. Ausnahmen können nur für gentechnisch veränderte Pflanzen geltend gemacht werden.
Patentanmeldungen blockieren Entwicklung
Die derzeitige Auslegung des Europäischen Patentamts (EPA) impliziert jedoch das Gegenteil und behauptet, dass durch Zufallsmutagenese gewonnene Pflanzen patentierbare Erfindungen seien. Daher ist davon auszugehen, dass das EPA auch viele der eingereichten Patentanträge beim Tomato Brown Rugose Fruit Virus tatsächlich erteilen wird.
Diese Patente schaden nach Einschätzung von No Patent on Seeds! den europäischen Pflanzenzüchtern schon vor ihrer Erteilung, da sie zu Rechtsunsicherheiten führen und somit abschreckend auf die Erzeugung neuer Sorten wirken. Die hohe Zahl der Patentanmeldungen und die Marktmacht, der beteiligten Unternehmen führen zu Hindernissen, die von KMU- Züchtern nicht überwunden werden können. Für eine einzige Sorte wären mehrere Lizenzen erforderlich, bevor die Vermarktung beginnen könnte. Die Kosten für einige der Lizenzen wären für kleinere Züchter zu hoch und selbst wenn keine Kosten anfallen würden, würden kleinere Pflanzenzüchter Verträge mit den Patentinhabern benötigen, wodurch neue Abhängigkeiten von grossen Konzernen wie Bayer, BASF und Syngenta entstehen würden.
Um die Zukunft einer selbstbestimmten Lebensmittelversorgung zu wahren, fordert No Patents on Seeds!, dass die EU beim Patentrecht Klarheit schafft. Nur eine strickte Regulierung bei der Patentvergabe kann die Vielfalt bei der europäischen Pflanzenzüchtung erhalten. Es ist zu befürchten, dass leichtfertig erteilte Patente zu einer weiteren Marktkonzentration im Saatgutbereich führen und die Zukunft unserer Lebensmittel in die Hände einiger weniger, grosser internationaler, Agrochemieunternehmen legt.
Fortschrittliche Regulierung in Österreich
Dass Einschränkungen grundsätzlich möglich wären, zeigt Österreich. Das EU-Mitglied hat das nationale Patentrecht angepasst und Patente auf gentechnisch verändertes Saatgut eingeschränkt. Nach dem österreichischen Patentgesetz sind Patente nicht zulässig, wenn sie "auf natürlichen Phänomenen wie Kreuzung, Selektion, nicht gezielter Mutagenese oder zufälligen genetischen Veränderungen beruhen, die in der Natur vorkommen". Zentral ist bei der österreichischen Regulierung auch, dass sich die Wirkung von Patenten "nicht auf Pflanzen oder Tiere mit denselben spezifischen Eigenschaften, die unabhängig von dem patentierten biologischen Material und durch im Wesentlichen biologische Verfahren erzeugt werden", erstreckt. Mit diesen Einschränkungen wären viele der oben erwähnten Patentanträge nicht bewilligungsfähig.