Im Erbgut von Tomaten, die mit einer Genschere verändert wurden, kam es zu schwerwiegenden Veränderungen im Erbgut. Bild: Shutterstock
Zum ersten Mal wurden chromothripsisartige Effekte bei Tomaten nachgewiesen, deren Erbgut mit CRISPR/Cas verändert wurde. Mit Chromothripsis wird ein Phänomen bezeichnet, bei dem sich Hunderte genetische Veränderungen auf einmal ereignen. Dabei können Abschnitte des Erbguts vertauscht, verdreht, neu kombiniert werden oder auch ganz verloren gehen. Zu diesem Ergebnis kommt eine internationale, noch nicht publizierte Studie. Bei Zellen von Säugetieren ist das Phänomen schon länger bekannt. Jetzt wurde es erstmals bei Pflanzen nachgewiesen, deren Erbgut mit der Genschere verändert wurde. Dies zeigt ein Bericht von Testbiotech, einer Organisation, die sich mit Technologiefolgenabschätzung befasst.
Insbesondere dann, wenn die Genschere CRISPR/Cas an der Schnittstelle beide DNA-Stränge durchtrennt, kann es bei der Reparatur der Schnittstelle zu unbeabsichtigten Veränderungen im Erbgut kommen. Abgetrennte Teile können umstrukturiert, an einer anderen Stelle im Erbgut eingebaut, oder auch ganz verloren gehen. Chromothripsis scheint bei Pflanzen ansonsten eher selten aufzutreten. Durch den Einsatz der Genschere können auch Orte im Erbgut häufiger betroffen sein, die ansonsten durch natürliche Reparaturmechanismen geschützt sind. Die Risiken können nicht pauschal vorhergesagt werden, sondern müssen im Einzelfall untersucht werden.
Das Ergebnis der Studie werfe ein neues Licht auf die angebliche Präzision der Genscheren, folgert Testbiotech. Zwar könnten mit Hilfe der neuen Gentechnik bestimmte Orte im Erbgut gezielt angesteuert werden, um es an dieser Stelle zu durchtrennen. Die Folgen dieser Schnitte seien jedoch wenig vorhersagbar und nicht kontrollierbar. In der Konsequenz könnten die aus den Verfahren der neuen Gentechnik (NGT) resultierenden Pflanzen nicht per se als ‚sicher‘ angesehen werden, sondern müssen eingehend auf Risiken geprüft werden.
In einigen Ländern, zum Beispiel den USA, sind genomedierte Pflanzen bereits zugelassen. Auch in Europa könnten derartige Pflanzen bald auf den Markt kommen. Laut Dokumenten der EU-Kommission, die letzte Woche an die Öffentlichkeit gelangten, soll zukünftig ein vereinfachtes Verfahren ausreichen, um NGT-Pflanzen freizusetzen und entsprechende Produkte zu vermarkten. Dabei wäre es, ähnlich wie in den USA, nicht vorgeschrieben, unbeabsichtigte genetische Veränderungen wie die Chromothripsis zu untersuchen. Diese neue Regulierung würde nicht nur landwirtschaftlich genutzte Ackerpflanzen, sondern auch Wildpflanzen umfassen. Testbiotech warnt davor, dass die geplante Deregulierung und die massenhafte Freisetzung von NGT-Organismen die Lebensgrundlagen künftiger Generationen gefährden kann.