Die Schweiz muss mehr Vorsicht walten lassen. Bild: Shutterstock
Für die Gentech-Konzerne soll es viel einfacher werden: Die EU-Kommission will laut der deutschen Nachrichtenagentur dpa Produkten den Marktzugang erleichtern, die mit der sogenannten neuen Gentechnik hergestellt wurden. Die Konzerne sollen diese Produkte künftig also nicht mehr gründlich auf Risiken prüfen müssen. Das wäre eine nahezu vollständige Deregulierung der neuen Gentechnik und würde das Aus der gentechnikfreien konventionellen und ökologischen Landwirtschaft in der EU bedeuten. Die Schweizer Allianz Gentechfrei (SAG) fordert, dass die Schweiz mehr Vorsicht walten lässt. Denn die Risiken für Mensch und Umwelt dürfen nicht einfach ausser Acht gelassen werden, nur weil eine Industrie das fordert.
Heute ist ein Entwurf der EU-Kommission über die Regulierung der neuen Gentechnikverfahren (NGT) durchgesickert. Der durchgesickerte Vorschlag unterscheidet zwei Kategorien von NGT-Pflanzen. So sollen Pflanzen mit Eigenschaften, die auch in der Natur vorkommen oder durch klassische Züchtung oder Mutagenese erzeugt werden künftig gar nicht mehr als «GVO» reguliert werden. Die Regulierung wird durch ein Anmeldeverfahren ersetzt, welches das Risikoprofil von NGT-Pflanzen auf der Grundlage der Anzahl der vorgenommenen gentechnischen Veränderungen und der Vorhersagbarkeit der DNA-Sequenz (d.h. der Ähnlichkeit der Veränderung mit der Sequenz an der Zielstelle) bewertet. Nur Pflanzen, die nicht in die Kategorie I fallen, müssen weiter ein Zulassungsverfahren durchlaufen, aber auch hier gibt es Aufweichungen gegenüber der jetzigen Gesetzgebung. Denn für diese Pflanzen gibt es nur dann eine Art weitergehende Risikobewertung, wenn «plausible Risiko-Hypothesen» vorliegen. Eine begrüssenswerte Ausnahme sind NGT-Pflanzen mit herbizidtoleranten Merkmalen, die weiterhin den aktuellen Zulassungsverfahren unterliegen.
Gleichzeitig sorgt der Vorschlag für ein Mindestmass an Transparenz bei der Verwendung von NGTs durch die Einrichtung eines neuen öffentlichen Registers (und möglicherweise durch die Kennzeichnung von Saatgut und Vermehrungsmaterial) sowie durch die Angabe, ob ein NGT verwendet wurde, in den Sortenkatalogen des Pflanzenvermehrungsmaterial.Dies sollte es Züchterinnen und Biobauern theoretisch ermöglichen, die Verwendung von Sorten zu vermeiden, die mit NGTs gewonnen wurden. Hinzu kommt ein klares Verbot der Verwendung dieser freigestellten NGTs in der ökologischen Produktion. Bedauerlicherweise löst die Kennzeichnung die Problematik der Koexistenz gentechfreier und gentechnisch veränderter Kulturen nicht. Konzepte zur Umsetzung dieser Koexistenz fehlen vollständig. Der aktuelle Vorschlag würde daher die gentechfreie konventionelle und die Bio-Produktion gefährden. Dies, obwohl die Wichtigkeit der Erhaltung eines systemischen Ansatzes in der Pflanzenzüchtung mit Berücksichtigung der Komplexität der Agrarökosysteme heute durch den einschlägigen internationalen Gremien anerkannt wird.
Bestimmte NGT-Pflanzen von der Risikobewertung, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung auszunehmen, wird wahrscheinlich keinen dauerhaften Nutzen für die Nachhaltigkeit bringen und ist ein Rückschritt für Biosicherheit und Verbraucherinformation, so die SAG. Das optimale Szenario wäre die Beibehaltung des Rückverfolgbarkeitssystems und der Kennzeichnung entlang der gesamten Produktionskette bis hin zur Kennzeichnung für den Endverbraucher.
Der Vorschlag der EU-Kommission NGT-Pflanzen der Kategorie II nicht mehr als GVO zu regulieren vernachlässigt zudem die Tatsache, dass die Risiken der NGT nicht mit der Herkunft der Gene oder mit den Eigenschaften des Endprodukts verknüpft sind, sondern mit dem gentechnischen Eingriff. Denn die einzelnen Schritte des Prozesses können auch zu diversen spezifischen Risiken führen. Somit stellt der Vorschlag einen Paradigmenwechsel dar, welcher dem Vorsorgeprinzip wirderspricht. Kommt der Vorschlag durch, würde das Recht auf gentechnikfreie Erzeugung und das in der EU geltende Vorsorgeprinzip ausgehebelt.
Das wäre das Aus der gentechnikfreien konventionellen und ökologischen Landwirtschaft. Die Gentechnik-Konzerne könnten ihre Produkte ungeprüft, intransparent und unkontrolliert auf unsere Äcker und Teller bringen. Für Folgeschäden müssten Bauer und Bäuerinnen und die Verbrauchenden aufkommen. Wenn Kennzeichnungspflicht, Rückverfolgbarkeit und Haftungsansprüche wegfallen, haben diese keine Möglichkeiten mehr, ihre Ernte vor Kontaminationen zu schützen.
Auch in der Schweiz stehen wichtige Entscheide zur neuen Gentechnik an. Der Bundesrat arbeitet im Auftrag des Parlaments an einem Vorschlag, den er nächstes Jahr vorlegen will. Im Hinblick darauf hat die SAG zusammen mit rund 60 unterstützenden Organisationen ein Positionspapier erarbeitet. Wir fordern:
- Dass die sogenannte neue Gentechnik weiterhin gleich behandelt wird wie herkömmliche Gentechnik. Denn auch diese greift gezielt in das Erbgut von Lebewesen und Pflanzen ein. Gerade bei den neuen Gentechnik-Methoden sind die Folgen für Umwelt und Menschen noch viel zu wenig erforscht.
- Dass alle gentechnisch veränderten Produkte weiterhin als solche gekennzeichnet bleiben! Nur dank dieser Transparenz haben es Konsumentinnen und Konsumenten in der Hand, ob sie Gentechnik kaufen und konsumieren - oder nicht.
- Dass Koexistenz und Haftung sichergestellt werden. Es braucht effektive Massnahmen, um eine Vermischung von Produkten mit und ohne Gentechnik zu verhindern. Die Kosten müssen von den Verursachern getragen werden.