Aktuell gibt es bei Agroscope Programme zur Züchung von Weizen und Soja, Züchtung von Futterpflanzen und Gräsern sowie zur Obst- und Rebenzüchtung. Bild: Parodi
Die Erosion der Vielfalt in der Landwirtschaft ist auch eine Folge der Konzernkonzentration auf dem Saatgutmarkt. Die sechs Grössten (Monsanto, DowDuPont, ChemChina-Syngenta, Vilmorin, KWS, Bayer) wachsen seit Jahren auch durch Übernahmen auf der ganzen Welt. 2017 hat sich die Situation weiter verschärft. Die beiden US-Konzerne DuPont und Dow haben fusioniert, ChemChina hat Syngenta gekauft und die Übernahme von Monsanto durch Bayer soll noch 2018 abgeschlossen werden.[1] Nach Abschluss dieser letzten Fusion befinden sich rund 60% des Handels mit kommerziellem Saatgut in der Hand von nur noch drei Konzernen (Bayer-Monsanto, DowDuPont, ChemChina-Syngenta). Zu einem weiteren grossen Player im Saatgutbereich wird die BASF, die, so die Auflage der Europäischen Fusionskontrolle im Fall Bayer-Monsanto, grosse Teile des Saatgutgeschäfts, vor allem von Bayer, übernehmen wird.
Folgen für die Landwirtschaft?
Bei allen drei Grossfusionen gehen erneut Unternehmen zusammen, die Pflanzenschutzmittel und/oder Saatgut entwickeln. Die teilweise massiven Probleme, die der Anbau herbizidresistenter Pflanzen bereits heute verursacht – viele Unkräuter sind durch die grossflächige und regelmässige Anwendung von Herbiziden resistent geworden, weshalb vielerorts ein Mix verschiedener Wirkstoffe eingesetzt werden muss –, werden die Unternehmen nicht davon abhalten, auch in Zukunft auf die bislang sehr profitable Kombination von Saatgut und Herbizid(en) zu setzen. Im Gegenteil; schliesslich erhöhen die selbst geschaffenen Superunkräuter den Herbizidabsatz. Auch kann das „gestackte“, gegen verschiedene Ackergifte resistent gemachte Saatgut umso teurer verkauft werden.
Es ist aus strukturellen Gründen davon auszugehen, dass der Fokus der privaten, gewinnorientierten Unternehmen auch weiterhin auf wenigen „grossen“ Kulturen (wie Soja, Mais, Raps, Baumwolle) liegen wird. Dabei werden Sortentypen entwickelt, die in möglichst vielen Märkten und auf grossen Flächen funktionieren. Sofern möglich, werden es Sorten sein, deren Nachbau rechtlich untersagt und aus biologischen Gründen unattraktiv ist (Hybriden). Die Züchter-Konkurrenz wird technisch (CMS-Hybride) und/oder rechtlich (Patente) auf Abstand gehalten.
Parallel wird intensiv an einer digitalisierten Präzisionslandwirtschaft gearbeitet, die mit dem Einsatz von Feldrobotern, Drohnen und allerlei Sensoren das industrielle Anbausystem vielleicht etwas weniger belastend für die Umwelt machen wird, es gleichzeitig aber auf jeden Fall erhalten will. Anbauwissen, Saatgut, Chemie, Boden- und Klimadaten für nahezu jeden Acker wird es in Zukunft aus einer Hand geben. Die Abhängigkeit der Bäuerinnen und Bauern von industriellen Lösungsansätzen, Paket-Angeboten und (hohen) Preisen wird damit weiter steigen.
„Technisch“ wird es auch in der Pflanzenentwicklung zugehen: Längst haben sich alle grossen Agrarkonzerne Lizenzen zur kommerziellen Nutzung der neuen gentechnischen Verfahren (CRISPR-Cas & Co.) gesichert und Anwendungsbereiche, Verfahren(-sschritte) und Nukleasen patentiert. Ganz egal, ob die neuen Verfahren als Gentechnik reguliert werden oder nicht: In diesem Markt sind und bleiben es die Grossen, die nicht nur relevante Marktanteile beherrschen; ihr Einfluss breitet sich, gerade auch mit Hilfe der Digitalisierung, weiter in die vor- und nachgelagerten Bereiche der Wertschöpfungskette aus.
Die Entscheidung darüber, was und wie in Zukunft gezüchtet, angebaut und konsumiert wird, wird also von immer weniger Konzernen beeinflusst, deren Marktmacht stetig wächst.
Um diese Abhängigkeit und Einseitigkeit zumindest in einzelnen Bereichen und bei einzelnen Kulturen zu reduzieren, wäre eine deutliche finanzielle, personelle und strukturelle Stärkung einer staatlich geförderten Pflanzenzüchtung und Agrarforschung unbedingt notwendig. Wie das Beispiel Agroscope zeigt, sollen die staatliche Züchtung (siehe Kasten) aber weiter abgebaut und regional verankerte Strukturen zentralisiert werden. Über Jahrzehnte aufgebautes Know-How wird, wenn der Ab- und Umbau wie geplant stattfindet, auf diese Weise unwiederbringlich verloren gehen.
Pflanzenzüchtung als öffentliche Aufgabe
Über viele Jahrzehnte war die Saatzucht in der Schweiz ganz selbstverständlich eine „Landessache“ (Moser 2003). Die staatlichen Forschungsanstalten (heute Agroscope) waren international renommiert für ihre Futterpflanzen, ihr Obst und ihr Getreide. Doch in den letzten dreissig Jahren wurde das Budget mehrmals zusammengestrichen, Personal entlassen, Züchtungsprogramme aufgegeben[2] und Standorte zusammengelegt. Heute gibt die Schweiz jährlich nur noch bescheidene vier Millionen Franken öffentliche Gelder für die Pflanzenzüchtung aus.[3] Aktuell gibt es bei Agroscope noch Programme zur Weizen- und Sojazüchtung, zur Züchtung von Futterpflanzen und Gräsern sowie zur Obst- (Apfel, Birne, Aprikose) und Rebenzüchtung. Ob und in welchem Umfang diese Programme weitergeführt werden, ist angesichts der im März 2018 angekündigten Sparmassnahmen und Umstrukturierungen offen. Da es in der Schweiz für viele Arten weder eine Züchtung, noch eine Saat- bzw. Pflanzgutproduktion gibt (z. B. bei Raps, Zuckerrüben, Sonnenblumen, vielen Gemüsearten), ist die Landwirtschaft teilweise stark von Saatgutimporten abhängig. Für Saatgut von Gemüse, Raps und Zuckerrüben liegt der Importanteil bei nahezu 100 Prozent, für Futterpflanzen bei 90 Prozent, für Mais bei 71 Prozent und für Soja bei 37 Prozent. Einzig beim Getreidesaatgut ist der Importanteil kleiner als 10 Prozent (Marti 2017, 18).
Wohlklingende Versprechen und viele offene Fragen
„Der Bundesrat wird beauftragt das Engagement des Bundes in eine standortgerechte Pflanzenzüchtung inklusive der Sortenprüfung umgehend substanziell zu erhöhen.“ So lautet die prägnante Forderung der Motion von Markus Hausammann (SVP), die im März 2018 im Nationalrat eingereicht wurde und die zunächst wie eine direkte Reaktion auf die oben geschilderten internationalen Entwicklungen erscheint. Hintergrund der Motion sind aber wohl weniger Baysanto & Co.; es ist eher die Unruhe, die die ebenfalls im März vom Bundesrat angekündigte weitere Umbau- und Sparrunde bei Agroscope ausgelöst hat.
Die Motion ist nicht die erste politische Intervention im Parlament zum Thema Pflanzenzüchtung: Zwischen 2011 – 2018 wurden unzählige Motionen, Postulate oder Interpellationen eingereicht, die entweder die Förderung der (Bio-)Züchtung, die wiederholte Reorganisation von Agroscope oder – bereits 2010 – die fortschreitende Konzentration auf dem Saatgutmarkt und ihre möglichen Auswirkungen auf die Schweizer Saatgutversorgung und Landwirtschaft betreffen. Im Hinblick auf die aktuell kritische und unklare Situation, auf die im folgenden ausführlicher eingegangen wird, ist interessant, was der Bundesrat im Juni 2016 auf die Interpellation von Maya Graf (Grüne) zur geplanten Übernahme von Syngenta durch den chinesischen Chemiekonzern ChemChina, geantwortet hat: Der Bundesrat habe bereits im Jahr 2012 die Erarbeitung einer Strategie für die Pflanzenzüchtung in der Schweiz lanciert. Er messe der Wahlfreiheit in Bezug auf Saatgut national und international eine hohe Bedeutung bei. Im Massnahmenplan zur Strategie Pflanzenzüchtung werde die Einrichtung eines schweizerischen Zentrums für Pflanzenzüchtung vorbereitet, wodurch sich die Voraussetzung für Züchtungsforschung und Sortenentwicklung substanziell verbessern solle. Das Zentrum solle Agroscope, ETH, Fibl und den privaten Pflanzenzüchtern zur Verfügung stehen. Darüber hinaus werde der Forschungsstandort mit der kürzlich erfolgten Wahl einer neuen Professur für molekulare Pflanzenzüchtung an der ETH zusätzlich gestärkt (16.3299, Interpellation „Die Übernahme von Syngenta durch Chem China wirft Fragen auf.“ Stellungnahme des Bundesrates vom 22.06.2016).
Der Katalog verschiedenster Massnahmen, der hier vollmundig versprochen wird, soll im folgenden einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Da die staatlich finanzierten Züchtungsprogramme mehrheitlich bei Agroscope angesiedelt sind,[4] sind auch die wiederholten Kürzungs- und Umstrukturierungsrunden der Forschungsanstalt zu thematisieren.
Strategie Pflanzenzüchtung 2050
Zwischen 2012 – 2016 hat das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW), zusammen mit Vertretern von Agroscope, ETH, Fibl, privaten Züchtern und weiteren Stakeholdern eine Strategie Pflanzenzüchtung 2050 erarbeitet. Das im Herbst 2016 veröffentlichte Papier bleibt jedoch in vielen Punkten vage und ist vor allem eine Sammlung teilweise widersprüchlicher Erwartungen, die an eine zukünftige Züchtung gestellt werden.[5] Doch obwohl es gerade Sorten aus der Schweizer Biozüchtung[6] sind, die viele der Anforderungen bereits erfüllen[7], werden weder die Biolandwirtschaft, noch die Biozüchtung speziell in der Strategie erwähnt. Dies sei eine bewusste Entscheidung der Projektleitung gewesen, so der Getreidezüchter Peter Kunz, der als Mitglied des Projektteams an der Ausarbeitung der Strategie mitgearbeitet hat (Marti 2017, 21).
Zentrale Gegensätze wie der zwischen Haupt- und Nebenkulturen werden zwar angesprochen, aber es werden keine Ideen oder Lösungen skizziert, wie damit umzugehen wäre. So wird im Bericht – völlig zu Recht – darauf hingewiesen, dass, angesichts der globalen Entwicklungen auf dem Saatgutmarkt, bei Nebenkulturarten die Gefahr bestehe, dass diese züchterisch vernachlässigt und so für den Anbau immer weniger konkurrenzfähig würden. Gerade hier seien deshalb staatliche Investitionen von grosser Bedeutung (Strategie Pflanzenzüchtung 2050, 19). Allerdings werden weder Vorschläge gemacht, welche „kleinen“ Kulturen in zukünftigen Züchtungsprogrammen bearbeitet werden könnten, noch gibt es klare und konkrete Aussagen zur zentralen Frage der Finanzierung.
Die Umsetzung der Strategie Pflanzenzüchtung, so konnte man in den letzten Monaten immer wieder lesen, solle anhand eines priorisierten Massnahmenplans erfolgen. Dieser werde die in der Strategie genannten Handlungsschwerpunkte konkretisieren. Spätestens Mitte 2017 sollte er vorgelegt werden (ebd., 35); veröffentlicht wurde ein solcher Plan jedoch bis heute nicht.
Das schweizerische Zentrum für Pflanzenzüchtung – DNA-„Bausteine“ für die Züchtung
Das neue schweizerische Zentrum für Pflanzenzüchtung (Swiss Plant Breeding Center, SPBC) gibt es bislang nur auf dem Papier. Das Zentrum sei eine wichtige Massnahme der Strategie, so Eva Reinhard im Interview mit dem landwirtschaftlichen Informationsdienst (LID 2017).[8] Es solle als Anlaufstelle für die Züchter dienen, und insbesondere dabei helfen, die Leistungslücke im Bereich der Implementierung von neuen Methoden und Erkenntnissen in die praktische Züchtung zu schliessen. Insbesondere für kleine Züchter sei es schwierig, an die Technologien und die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse heranzukommen. Kleine Betriebe hätten keine grossen Forschungsabteilungen und auch kaum Zeit, sich um die neuesten Entwicklungen zu kümmern. Deshalb wolle der Bund mit dem SPBC solchen Betrieben dabei helfen, effizienter zu arbeiten.
Was in diesem Zusammenhang unter „neuen Methoden und Erkenntnissen“ verstanden wird, wird nicht im Detail ausgeführt. Der grösste technologische Fortschritt, so heisst es in der Strategie Pflanzenzüchtung, sei in den Marker- und Sequenziertechnologien zu erwarten, welche – in Kombination mit neuen Methoden der Statistik und der modellierenden Bioinformatik – die Selektionseffizienz und somit den Zuchtfortschritt erhöhen würden (16). Das Zentrum, so fasst Eva Reinhard dessen Aufgabe zusammen, solle den Züchter*innen (konventionell und bio) dabei helfen, aus der Analyse genetischer Informationen einen Nutzen zu ziehen.
Derzeit werde die Finanzierung des Zentrums geklärt und Geld gesucht, heisst es im Interview, das Reinhard im Juli 2017 gegeben hat. Aktuellere Informationen zum Zentrum oder zum Stand der Finanzierung wurden seitdem nicht mehr veröffentlicht.
Professur für Molecular Plant Breeding an der ETH Zürich
Um die Züchtungsforschung zu stärken, die bislang in der Schweiz im Vergleich zum umliegenden Ausland schwach aufgestellt ist, sei eine bessere Vernetzung der Akteure dringend erforderlich, heisst es in der Strategie Pflanzenzüchtung 2050 (21). Die Position der Züchtung an den Hochschulen müsse gestärkt und ein Kompetenzzentrum für Züchtungsforschung aufgebaut werden (ebd). Eine künftige Zusammenarbeit des SPBC mit der neuen Professur für Molecular Plant Breeding an der ETH Zürich,[9] ist also naheliegend. Konkrete Details oder offizielle Statements findet man jedoch auch hierzu nicht.
Wie weiter bei Agroscope?
In den letzten Jahren fanden wiederholt grössere Umstrukturierungen bei Agroscope statt. Anfang 2018 kündigte der Bundesrat an, dass er das Forschungs- und Dienstleistungsangebot von Agroscope erneut überprüfen und festlegen wolle, welche Leistungen von Dritten erbracht und welche Aufgaben von Agroscope übernommen werden sollten. Die Forschung soll neu auf einen einzigen Standort in der Westschweiz (Posieux FR) konzentriert werden und die Kosten des Gesamtbetriebs sollen, trotz wiederholter Sparrunden, noch einmal um 20 Prozent sinken. Damit werde, so heisst es in einer offiziellen Medienmitteilung,[10] ein bereits vor über zehn Jahren begonnener Transformationsprozess abgeschlossen. Die endgültige Entscheidung des Bundesrats wird im Laufe des Sommers 2018 erwartet.
Die erst 2016 von Agroscope verabschiedete Infrastruktur-Strategie sah vor, dass die drei Hauptstandorte Changins VD, Posieux FR und Reckenholz ZH zu halten oder auszubauen sind. Daneben war geplant, Spezialstandorte wie Wädenswil ZH zu reduzieren oder günstiger zu betreiben. Eineinhalb Jahre später ist nur noch von Posieux FR die Rede, obwohl der für diesen Standort geplante 80 Millionen Franken teure Neubau noch nicht existiert. Im Februar 2018 wurde sogar ein Projekt-Stopp verfügt, auch eine Baubewilligung liegt noch nicht vor.[11]
Das BLW schreibt auf Anfrage von Evelyn Dudda, die als freie Agrarjournalistin schon mehrfach über den Ab- und Umbau bei Agroscope berichtet hat: „Der finanzielle Druck hat (…) zugenommen. Es wird jetzt versucht, ein Maximum im Bereich der Betriebskosten zu erreichen und die Leistungen in Forschung und Dienstleistung so zu überdenken, dass die grösste Wirkung erzielt werden kann.“ (Dudda 2018b) Da weitere Einsparungen in den Aufgabenbereichen „Entscheidungsgrundlagen für die Agrarpolitik“ und „Vollzugsaufgaben“ (z. B. Sortenprüfung) unwahrscheinlich seien, so Dudda, dürften die angedrohten Einsparungen voll zulasten der angewandten Forschung gehen – und damit auch die Pflanzenzüchtung betreffen. Die Gentechnik – in Form der von Agroscope betriebenen „Protected Site“ – , in der das BLW seit Jahren Chancen für die Schweizer Landwirtschaft erkennen will, soll von den Kürzungen allerdings verschont bleiben.[12]
Molekulare Grundlagenforschung versus praktische Züchtung
Mehr Aufmerksamkeit – und vielleicht auch Geld – soll also vor allem der Bereich der molekularen Züchtungs- und Grundlagenforschung erhalten. Das ist einer der wenigen konkreteren Aspekte, den man aus den Papieren, spärlichen Aktivitäten und öffentlichen Verlautbarungen der letzten Monate ableiten kann. Dabei waren vor und während der Ausarbeitung der Strategie bereits verschiedene konkrete Vorschläge für Handlungsmassnahmen eingereicht worden, die auch die praktische Züchtung betreffen. Im Nationalrat hatte Maya Graf (Grüne) noch vor Beginn der Strategiediskussion vorgeschlagen, die 60 wichtigsten Kulturpflanzen der Schweiz kontinuierlich züchterisch weiter zu bearbeiten; dafür hatte sie breite politische Zustimmung bekommen (Wirz, Kunz, Hurter 2017, 69). Im Rahmen der Strategie hatte die Koordinationsgruppe Biozüchtung[13] u. a. gefordert, dass ein zusätzlicher Fonds geschaffen werden soll, bei dem sich sowohl öffentliche als auch private Züchtungsorganisationen für die Projektfinanzierung bewerben können. Darüber hinaus war eine Prioritätenliste von Kulturarten erstellt worden, deren züchterische Bearbeitung auch für den Biolandbau in der Schweiz gefördert werden sollte.[14] Zudem forderte die Koordinationsgruppe, dass neben der Züchtung selbst vor allem auch die Sortenprüfung unter Biobedingungen vom Bund künftig stärker zu unterstützen sei (Spuhler 2014). Keine der genannten Vorschläge fand in dieser konkreten Form Aufnahme in die offizielle Strategie. Das ist vermutlich konsequent: Wenn der Fokus der Politik in Zukunft auf der ETH-Professur und dem damit eng verbundenen Swiss Plant Breeding Center liegen soll, dann ist dies ein Bereich, der mit praktischer, angewandter Züchtung wenig bis gar nichts zu tun hat. „Die ETH kann sich mit praxisorientierten Projekten wenig Prestige holen. Dazu kann man keine tollen Papers in renommierten Zeitschriften schreiben. Und davon lebt die ETH – sie lebt vom Papier, wir leben von Sorten, die sich in der Praxis bewähren. Unsere Produkte sind zu verschieden.“ (Peter Kunz zitiert nach „Ohne öffentliche Unterstützung züchten nur noch Grosskonzerne“ in WOZ, Die Wochenzeitung Nr. 13/2016 vom 31.03.2016, vgl. auch Studer 2017, 3).
Wenn schon die praktische, staatlich finanzierte Züchtung immer weniger Unterstützung erhält, warum werden dann aber auch die privaten Züchtungsaktivitäten in der Schweiz zunehmend behindert? Noch vor Veröffentlichung der Strategie wurde das Budget der offiziellen Sortenprüfung stark gekürzt. Bei verschiedenen Getreidekulturen (Triticale, Roggen, Dinkel, Hafer und Sommergerste) werden die Prüfungen nicht mehr jährlich, sondern nur noch „sequenziell“ und auf Basis der bei Agroscope verfügbaren Kapazitäten durchgeführt (Weisung des Bundesamtes für Landwirtschaft betreffend der Aufnahme einer Sorte in die Sortenverordnung des BLW, Juni 2017, 10). Die Folge ist, dass die Züchter*innen bei diesen Arten jahrelang auf eine Zulassung ihrer Sorten warten müssen, wenn sie nicht ins EU-Ausland ausweichen, was einen enormen zeitlichen, logistischen und finanziellen Mehraufwand bedeutet.
Konsequenter Rückbau?
Der Paradigmenwechsel in der Agrarpolitik, der sich in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre abzeichnet und dann in den 1990er Jahren vom Parlament, vom Bundesrat und den Stimmberechtigten beschlossen wird (Moser 2003, 104), hat notwendigerweise Folgen für die Pflanzenzüchtung. „Weil der Staat mit seiner Agrarpolitik auch jetzt wieder – wie schon damals [vor dem 1. Weltkrieg, ca. 1860 - 1921] – in erster Linie die Wettbewerbsfähigkeit anstrebt, wird die langfristig angelegte Pflanzenzüchtung tendenziell wieder an den Rand gedrängt oder gar in den Hintergrund geschoben.“ (ebd., 102) War der Abbau des Züchtungsengagements des Bundes in den 1990er Jahren noch kaum erkennbar, weil die bestehenden Strukturen zunächst erhalten blieben (104), sind sie inzwischen unübersehbar geworden. Und, angesichts der derzeitigen Ausrichtung der Agrarpolitik, wohl auch unumkehrbar: „Eine an den Funktionsmechanismen des Marktes orientierte Politik kann – auch wenn sie das möchte – gar nicht langfristig angelegt sein. Denn auf Märkten können nur diejenigen Bedürfnisse realisiert werden, die sich im Moment in Form von Kaufkraft manifestieren.“ (102)
Die konsequenteste Fortführung dieser am Markt orientierten Politik hat kürzlich der Forschungsleiter Smart Government des neoliberalen Think-Tanks Avenir Suisse formuliert (vgl. auch Dudda 2018a). In der Zeitschrift „Finanz und Wirtschaft“ wird nichts weniger als die Auflösung von Agroscope gefordert. Man könne die auf Grundlagenforschung ausgerichteten Teile der Agroscope in den ETH-Bereich überführen, heisst es da. Und die eher anwendungsorientierten Teile von Agroscope könnten in die agrarwissenschaftlichen Fachhochschulen integriert werden. Damit liesse sich Geld einsparen. Die Sonderstellung, die die Schweizer Agrarforschung lange Zeit innehatte, lasse sich heutzutage weder landwirtschafts-, noch forschungs- und schon gar nicht mehr finanzpolitisch begründen (Schnell 2017).
Die Diskussionen über die Zukunft der Schweizer Pflanzenzüchtung und Agrarforschung, führen also erneut zur Grundsatzfrage, welche Funktionen die Landwirtschaft in der Industriegesellschaft denn überhaupt zu erfüllen habe. So lange in der Agrarpolitik vor allem das Defizit der Schweizer Landwirtschaft beklagt wird, international nicht wettbewerbsfähig zu sein, so lange kann auch nicht mit einem langfristigen Ausbau einer staatlichen Züchtung gerechnet werden. Im Gegenteil. Die Konsequenz dieser Politik ist es, die Saatgutversorgung in Zukunft immer stärker „dem Markt“ zu überlassen; das Angebot der multinationalen Konzerne wird damit auch in der Schweiz weiter an Bedeutung und Umsatz gewinnen. Um das Potential der Schweizer Biozüchtung zu nutzen und weiter auszubauen und möglichst vielfältige Züchtungsprogramme bei Agroscope langfristig zu etablieren, braucht es also einmal mehr auch agrarpolitische Visionen, die sich der grundsätzlichen Unterschiede zwischen land- und industriewirtschaftlicher Produktion bewusst sind.[15]
Text: Eva Gelinsky
Literatur:
Dudda, E. 2018a: Köpferollen bei Agroscope. In: die grüne, Nr. 2, S. 38 - 41
Dudda, E. 2018b: Abbau bei Agroscope. In: die grüne, Nr. 5, S. 20 - 23
Kotschi, J., Wirz, J. 2015: Wer zahlt für das Saatgut? Gedanken zur Finanzierung ökologischer Pflanzenzüchtung. Arbeitspapier. AGRECOL und Sektion für Landwirtschaft. Marburg und Dornach
Landwirtschaftlicher Informationsdienst LID 2017: Wer essen will, muss züchten. Interview mit Eva Reinhard. Mediendienst Nr. 3334 vom 27. Juli 2017
Marti, K. 2017: Eine Handvoll Konzerne diktiert unseren Speisezettel. In: Pro Natura Magazin 1/2017, S. 18 - 21
Moser, P. 2003: Züchten, säen, ernten. Agrarpolitik, Pflanzenzucht und Saatgutwesen in der Schweiz 1860 – 2002. Baden
Moser, P. 2016: Zwischen Nachhaltigkeit und Effizienz. Ein analytisch-historischer Blick auf die Potenziale und Grenzen der (bäuerlichen) Landwirtschaft. In: Der kritische Agrarbericht 2016, S. 154 - 158
Schnell, F. 2017: Keine Extrawurst für die Agrarforschung. In: Finanz und Wirtschaft, 28.07.2017, https://www.fuw.ch/article/keine-extrawurst-fuer-agrarforschung/
Spuhler, M. 2014: Sortenzüchtung: Strategie für die Landwirtschaft von morgen. In: bioaktuell 1/2014, S. 4 - 7
Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) 2016: Strategie Pflanzenzüchtung 2050. Bern.
Studer, B. 2017: Schlüssel liegt in der Biodiversität. Interview in: die grüne, 19.10.2017
Thomet, E. 2016: Saatgutproduktion und Züchtung verbinden. Interview in: dlz agrarmagazin, August 2016, S. 1 - 4
Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) 2017: Weisung des Bundesamtes für Landwirtschaft betreffend der Aufnahme einer Sorte in die Sortenverordnung des BLW, Juni 2017. Bern
Wirz, J., Kunz, P., Hurter, U. 2017: Saatgut – Gemeingut. Züchtung als Quelle von Realwirtschaft, Recht und Kultur. Goetheanum und Fonds für Kulturpflanzenentwicklung, 2017: Dornach. Feldbach, Schweiz
[1]Die Fusion von Bayer-Monsanto wurde am 21. März 2018 von der EU-Kommission genehmigt (http://europa.eu/rapid/press-release_IP-18-2282_de.htm). Stimmen in den nächsten Wochen auch die restlichen Wettbewerbsbehörden zu, wird Baysanto als integrierter Anbieter von Saatgut, Pestiziden sowie digitalen Lösungen zum weltweit grössten Konzern der Agrarbranche.
[2]„Einige öffentliche Züchtungsprogramme (Wintergerste, Mais, Dinkel, Triticale, Birnen, Kirschen, Beeren, Gemüse und Zierpflanzen) wurden seit den 1980er-Jahren im Zuge von Sparmassnahmen aufgegeben und das genetische Material daraus zum Teil privaten Züchtern übergeben.“ (Strategie Pflanzenzüchtung 2050, 10)
[3]Insgesamt werden in der Schweiz jährlich rund CHF 10 Mio. in die Pflanzenzüchtung investiert. Der öffentliche Anteil liegt bei 40 % der private Anteil bei 60 %. Im europäischen Vergleich sind damit die Schweizer Investitionen in die Pflanzenzüchtung eher tief. So wird z. B. in Deutschland mit ca. 200 Mio. Euro pro Jahr gegenüber der Schweiz das 20-fache an Mitteln in die Pflanzenzüchtung investiert. Vergleicht man die Gesamtinvestitionen in die Pflanzenzüchtung in der Schweiz mit dem Wert der pflanzlichen Erzeugung (> CHF 4 Mrd.), so ergibt sich eine Investition von lediglich 0.25% (Strategie Pflanzenzüchtung 2050, 6).
[4]Bei einzelnen Züchtungsprogrammen wie Weizen und Soja bestehen enge Kontakte zwischen Agroscope und der Delley Samen und Pflanzen AG, die sich um die Erhaltungszüchtung einzelner Sorten und den Saatgutaufbau neuer Sorten kümmert (vgl. Thomet 2016).
[5]So will man einerseits Sorten, die „sehr gut an die vielfältigen Standortbedingungen sowie Anbausysteme der Schweiz angepasst sind“, und die im Inland nachgefragt werden, gleichzeitig sollen diese aber auch „auf dem internationalen Saatgutmarkt auf Interesse stossen“ (Strategie Pflanzenzüchtung 2050, 25). Die Sorten sollen sowohl „hohe und stabile Erträge sowie herausragende äussere und innere Qualitäten aufweisen“, als auch „ressourceneffizient und standortangepasst sein“ sowie „Resistenzen/Toleranzen gegenüber Krankheiten, Schädlinge und Umwelteinflüssen“ aufweisen.
[6]Neben Agroscope gibt es einige private Unternehmen, v. a. im Bereich der Bio-Züchtung: Getreidezüchtung Peter Kunz (GZPK) (Mais, Weizen, Dinkel, Erbsen, Sonnenblumen, Triticale, Emmer), Sativa Rheinau AG (Gemüse, Zuckermais), Poma Culta (Apfelzüchtung).
[7]Weizensorten der Getreidezüchtung Peter Kunz beispielsweise sind nicht nur im Inland gefragt – auf der Hälfte der schweizerischen Bio-Weizenanbaufläche wachsen GZPK-Sorten – , sondern auch in Süddeutschland äusserst erfolgreich. Sorten aus der Ökozüchtung sind, da sie für die speziellen Anforderungen des Biolandbaus gezüchtet wurden u. a. stickstoffeffizient und resistent gegen zahlreiche boden- und samenbürtige Krankheiten. Ökozüchtung und Ökolandbau zusammen erbringen vielfältige Ökosystemleistungen und fördern die Agrobiodiversität (Wirz, Kunz, Hurter 2017, 56f).
[8]Zum Zeitpunkt des Interviews war Eva Reinhard noch stellvertretende Direktorin des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW). Seit Anfang April 2018 ist sie Leiterin von Agroscope.
[9]Bruno Studer (Dipl. Ing. Agr. ETH) ist seit 2016 ausserordentlicher Professor für Molecular Plant Breeding und forscht an der Entwicklung von genetischen und genomischen Methoden, um den Prozess der Pflanzenzüchtung effizienter zu machen. Die neue Professur der ETH Zürich wurde gemeinsam mit Agroscope etabliert und durch die Fenaco-Genossenschaft mit einer Donation an die ETH Zürich Foundation unterstützt (Studer 2017).
[10]https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-70062.html
[11]https://www.luzernerzeitung.ch/schweiz/reorganisation-umbau-der-forschungsanstalt-agroscope-stoesst-auf-widerstand-ld.81720
[12]Ein paar Zahlen: Allein der Unterhalt der Protected Site kostet 750 000 Franken pro Jahr (Factsheet Protected Site). In seiner Antwort auf das Ende 2011 von Maya Graf (Grüne) eingereichte Postulat (11.4202, Postulat: Einheimische Pflanzenzüchtung fördern. Wie hoch sind die Kosten?), kam der Bundesrat auf die folgenden Zahlen: Unter der Annahme, dass die Entwicklung einer Sorte im Acker- und Futterbau in der Schweiz durchschnittlich etwa 750 000 Franken (über den Zeitraum von 10 – 15 Jahren) kostet, wären für die züchterische Bearbeitung von 60 Pflanzenarten (wie im Postulat gefordert) etwa 15 Millionen Franken pro Jahr aufzuwenden. Angesichts einer jährlichen Subvention der Schweizer Landwirtschaft in Höhe von ca. 3.6 Milliarden CHF dürften diese 15 Millionen kaum ins Gewicht fallen. Trotzdem wurde das Postulat vom Bundesrat mit Hinweis auf Budget-Knappheit abgelehnt (Kotschi, Wirz 2015, 13).
[13]Die Koordinationsgruppe Biozüchtung bestand damals aus Vertretern der privaten Züchtungsorganisationen Sativa, Getreidezüchtung Peter Kunz und Poma Culta sowie Bio Suisse, Fibl und Bioverita.
[14]Aufgeführt sind Raps, Blumenkohl und Broccoli, Körnerleguminosen, Kartoffeln und die Tafelobstarten Aprikose, Apfel und Süsskirsche.
[15]Die Landwirtschaft kann nachhaltig nutzen, aber nicht effizient in einem industriewirtschaftlichen Sinne produzieren, die Industrie hingegen kann effizient verbrauchen, aber nicht nachhaltig im ursprünglichen Sinne des Wortes produzieren (Moser 2016).