Fokusartikel

Titelbild101 
(Bild: Shutterstock)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 101

Freisetzungsversuche mit Gentechmücken

Oxitec, ein britisches Unternehmen, hat gentechnisch veränderte Mücken freigelassen, die sich nicht mehr fortpflanzen können, um die Population zu verkleinern. Der Erfolg lässt auf sich warten. Wurde mit öffentlichen Geldern einem kommerziellen Unternehmen gestattet, einen irreführenden Hype um den Nutzen seiner Technologie zu verbreiten?

Text: Helen Wallace, GeneWatch UK

Den männlichen Mücken hat das britische Biotechunternehmen Oxitec erstens ein fluoreszierendes Markergen ins Genom eingefügt und zweitens eine Art «Tötungsgen». Dieses bewirkt, dass die meisten (aber nicht alle) Nachkommen dieser Mücke bereits als Larven sterben, sich also nicht fortpflanzen werden. Wiederholte Freisetzungen vieler Millionen oder gar Milliarden solcher GV-Männchen, die die Zahl der wilden männlichen Moskitos bei weitem übersteigen, sollen die gesamte erwachsene Mückenpopulation im Laufe der Zeit verkleinern. Im Jahre 2008 hat Oxitec damit begonnen, auf den Kaimaninseln, in Malaysia, Panama und Brasilien solche gentechnisch veränderten Mücken der Art Aedes aegypti versuchsweise in der Umwelt freizusetzen.

Die Aedes aegypti übertragen die tropischen Krankheiten Denguefieber, Zika und das Chikungunyafieber.

Keine Hinweise auf Rückgang der Mückenpopulation

Fokus 101 Mücke
(Bild: Shutterstock)

Die Firma behauptete immer wieder, dass ihre Experimente erfolgreich und der Bestand der Aedes-aegypti-Populationen um über 90 Prozent reduziert worden seien. Doch ein von GeneWatch UK kürzlich veröffentlichter Bericht zu diesen GV-Mücken,1 der auf veröffentlichten Resultaten der «Versuchs»-Länder basiert, kann diese Erfolgsquote nicht bestätigen. Es gibt weder Hinweise auf eine Verkleinerung der Population der weiblichen Moskitos, welche die Krankheiten übertragen, noch auf einen Rückgang der Infektionsraten. Nur die weiblichen Mücken stechen und können Krankheiten übertragen. Auch gemäss einer Analyse neuer Daten, die auf Druck öffentlich zugängig wurden, gibt es «keine signifikante Abnahme der Häufigkeit von Aedes aegypti im Freisetzungsgebiet», wie die Wissenschaftler des Mosquito Control and Research Unit (MRCU) auf den Kaimaninseln feststellen mussten.

Nach dem Bericht von GeneWatch UK hat sich die Zahl der weiblichen Moskitos auf den Kaimaninseln im Freisetzungsgebiet sogar erhöht. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass nicht nur männliche genetisch veränderte Mücken freigesetzt wurden, sondern unbeabsichtigt auch eine grosse Zahl weibliche GV-Mücken. Durch diese ungewollte Freisetzung stechender weiblicher Moskitos kann die Ausbreitung von Krankheiten bei der lokalen Bevölkerung während dieser Experimente erhöht werden, statt dass sie verringert wird, wie dies Oxitec propagiert.

Worauf beruht die Risikoprüfung?

Fokus 101 Insel
Seit 2008 wurden auf den Kaimaninseln Millionen von gentechnisch veränderten Mücken freigesetzt. Doch die Versuche habe bislang keinen Erfolg gebracht. Die Zahl der weiblichen Mücken ist gar gestiegen. (Bild: Shutterstock)

Es gibt zudem Bedenken hinsichtlich der Kosten für die Technologie. Es gibt Hinweise, dass Oxitec gravierende Probleme bei der Produktion der GV-Mücken hat. All dies wirft wichtige Fragen auf: Wurden und werden die Öffentlichkeit, die Gesundheitsministerien, die Behörden, die für die Mückenbekämpfung verantwortlich sind, und auch Intrexon, die Oxitec vor drei Jahren übernahm, falsch über die Wirksamkeit der Gentechmücken und die Kosten informiert?

Oxitec war ursprünglich ein Spin-off-Unternehmen der Universität Oxford. Die wichtigsten Investoren in der Frühphase der Firma waren die Universität, Oxford Capital Partners und das US-Unternehmen East Hill Management. Die Forschungs- und Entwicklungsvorhaben des jungen Unternehmens wurden durch zahlreiche öffentliche Forschungszuschüsse gefördert. Im September 2015 erwarb die Intrexon Corporation, ein US-Biotechkonzern, Oxitec für 160 Millionen US-Dollar – bezahlt mit einer Mischung aus Bargeld und Aktien. Die Behauptung, mit den GV-Mücken werde die Aedes-aegypti-Population um 90 Prozent reduziert, wurde in den Pressemitteilungen besonders hervorgehoben, welche beide Unternehmen bei der Übernahme publizierten. Wenn sich diese Angaben aber nicht auf Datenerhebungen stützten, wirft dies Fragen zur Sorgfalt der durchgeführten Risikoprüfung auf. Eine solche Risikoprüfung wird durch das US-Recht vorgeschrieben. Dabei wird auch geprüft, ob die Investoren der Firmen richtig informiert worden sind. Hinzu kommt, dass Investitionen in neue Technologien, die in der Realität nicht funktionieren, Geld verschwenden und Leben gefährden.

Antibiotikum schaltet Tötungsmechanismus aus

GeneWatch hat in der Vergangenheit bereits mehrfach auf die Risiken der Freisetzun gen der Gentechmücken von Oxitec hingewiesen.2, 3 Bedenklich ist, dass einzelne GV-Mücken überleben und sich verbreiten – auch stechende und Krankheiten übertragende Weibchen. Das heisst, dass diese gentechnisch veränderten Mücken bis ins Erwachsenenalter überleben und sich fort pflanzen können. Für die Herstellung der GV-Männchen werden nicht einheimische Mückenstämme verwendet. Diese können neue Merkmale in die wilde Mückenpopulation einbringen, beispielsweise verschiedene krankheitsübertragende Eigenschaften. Ebenso ist nicht bekannt, welche Auswirkungen die Freisetzungen auf andere Arten haben, ob sich beispielsweise durch die Reduktion von Aedes-aegypti-Mücken die Aedes-albopictus-Mücken oder andere krankheitsübertragende Arten stark vermehren würden. Die Auswirkungen dieser freigelassenen Gentechmücken auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit sind bis heute nicht erforscht.

Dazu kommt, dass für die Zucht der männlichen Mücken das eingebaute Tötungsgen stillgelegt werden muss, das nach der Freisetzung dafür sorgt, dass die Nachkommen schon im Larvenstadium absterben. Dafür wird das Antibiotikum Tetracyclin eingesetzt: Es setzt wie ein chemischer Schalter den genetischen Tötungsmechanismus aus. Fehlt das Antibiotikum, sterben die Mücken. Stossen dagegen die frei gelassenen Mücken in der Umwelt auf ausreichend hohe Tetracyclin-Werte, kann der genetische Tötungsmechanismus deaktiviert werden oder die Mücken können eine Resistenz entwickeln. Dies würde die Mückenpopulation wieder vergrössern. Auch die Entsorgung des Antibiotikums Tetracyclin, das zur Züchtung der Gentech-Mücken im Labor verwendet wird, schafft Probleme, und ungeklärt ist auch, ob frei gesetzte GV-Mücken antibiotikaresistente Bakterien in der Umwelt verbreiten.

Internationale Richtlinien ignoriert

Fokus 101 DiamanmotteDiamantmotten befallen Kohlgewächse und andere Nutzpflanzen. Zur Bekämpfung sollen gentechnisch veränderte Motten freigesetzt werden. In Entwicklung sind auch Versuche mit GV-Olivenfliegen in Spanien und GV-Obstfliegen in Australien und Brasilien. (Bild: Wikipedia)

Überhaupt scheint man bei der Herstellung und Freisetzung dieser GV-Mücken einige Richtlinien ignoriert zu haben. GeneWatch konnte nachweisen, dass Oxitec die Anforderungen des «Cartagena-Protokolls über die biologische Sicherheit» nicht erfüllt. Das internationale Übereinkommen umfasst eine Meldepflicht bei grenzüberschreitenden Lieferungen. Dies ist bei Oxitec der Fall, welche GV-Mückeneier in die Freisetzungsregionen aus dem Vereinigten Königreich exportiert. Das Protokoll schreibt ausserdem eine Risikobeurteilung vor, die den europäischen Normen entspricht. Doch veröffentlichte, zuverlässige Risikobewertungen fehlen bei den Freisetzungen von GV-Mücken. Die Menschen in den Freisetzungsgebieten wurden weder ausreichend über die Risiken informiert noch konnten sie den Versuchen in voller Kenntnis der Sachlage zustimmen.

Gentechschädlinge in der Landwirtschaft?

Trotz all dieser Bedenken plant Oxitec weitere experimentelle Freisetzungen auf den Kaimaninseln und in mehreren Städten Brasiliens. Gegenwärtig prüft die US-Umweltschutzbehörde (EPA) auch einen Antrag auf Freisetzung von GV-Mücken in Florida und Texas. Eine grossflächig angelegte kommerzielle Einführung dagegen wurde bis auf weiteres auf Eis gelegt. Oxitec hat auch eine Reihe von gentechnisch veränderten landwirtschaftlichen Schädlingen entwickelt. GV-Diamantmotten, die auch als Kohlmotten bekannt sind und Kohlgewächse und andere Nutzpflanzen fressen, sollen in Grossbritannien und in den USA freigesetzt werden. Ein kleiner Freisetzungsversuch mit solchen Motten wurde im Bundesstaat New York bereits durchgeführt. In Entwicklung sind Gentech-Olivenfliegen in Spanien und Gentech-Obstfliegen in Australien und Brasilien. Ein Problem dabei: Die weiblichen Nachkommen sterben meist im Larvenstadium, wenn sie sich bereits in der Pflanze befinden. Obst- und Gemüsepflanzen, die durch die GV-Larven bereits beschädigt sind und die daraus produzierten Nahrungs- oder Futtermittel können mit zahlreichen toten weiblichen GV-Maden kontaminiert sein, was in der Nahrungsmittelproduktion inakzeptabel ist.4 Die meisten dieser Freisetzungsanträge haben die Behörden deshalb abgelehnt oder aber die Entwicklung wurde vorzeitig eingestellt.

Mit beträchtlichen öffentlichen Geldern (aus unterschiedlichen Forschungs- und den Gesundheitsbudgets) wurde einem kommerziell ausgerichteten Unternehmen gestattet, einen irreführenden Hype um den Nutzen seiner Technologie zu verbreiten – ohne angemessene Risikobeurteilungen vor der unkontrollierten Freisetzung der Gentechmücken in der freien Natur. Es ist bedenklich, dass öffentliche Gelder für Unternehmen dieser Art verschwendet werden. Sie sollten besser in die Entwicklung und Umsetzung glaubwürdigerer und nachhaltigerer Alternativen investiert werden.


Unter einem Gentechdach: Insekten, Fisch und Obst

Das britische Unternehmen Oxitec wurde 2015 von Intrexon, einer US-amerikanischen Gesellschaft für synthetische Biologie, übernommen. Zu diesem Konzern gehören auch das Biotechunternehmen AquaBounty Technologies, das den ersten gentechnisch veränderten Lachs herstellte, sowie Okanagan Specialty Fruits, die gentechnisch manipulierte Äpfel entwickelt hat. Dem gentechnisch veränderten Lachs wurde ein Gen für ein Wachstumshormon eingebaut, damit er schneller das Schlachtgewicht erreicht, und ein Regulationsgen mit Antifrostproteinen, damit er auch in eiskalten Gewässern wächst. Der Lachs wird in Kanada bereits verkauft und darf ab dem nächsten Jahr auch in den USA verkauft werden. In Europa ist er verboten. Okanagan Specialty Fruits hat unter anderem Gentechäpfel hergestellt, die weniger schnell braun werden. Die so veränderten Sorten Arctic, Golden Delicious, Granny Smith sowie Fuji sind in Kanada und den USA für den Markt zugelassen worden.


 

1 Oxitec’s GM insects: Failed in the Field? GeneWatch UK Briefing, May 2018
2 Oxitec’s Genetically Modified Mosquitoes: A Credible Approach to Dengue Fever? GeneWatch UK, March 2015
3 GeneWatch UK comments on FDA Docket FDA-2014-N-2235: Oxitec OX513A Mosquitoes, 17th May 2016
4 Failures of the transboundary notification process for living geneti-cally modified insects. GeneWatch UK Briefing, August 2014

Titelbild 102 Ähnlich wie bei der Entschlüsselung der Qumran Texte mit Bruchstücken noch nicht entzifferter hebräischer Schriftzüge werden beim Genome-Editing wenig bekannte Informationen – Gensequenzen, deren Auswirkungen auf den gesamten Organismus nur teilweise entschlüsselt sind – in den noch unbekannten Kontext des Genoms verschoben. (Bild: Osama SM Amin FRCP)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 102

Industrie beschönigt mit fragwürdigen Bildern

Beim Entscheid des Europäischen Gerichtshofes, die neuen Gentechnikverfahren dem Gentechnikrecht zu unterstellen, spielte die Frage der Risikoeinschätzung eine zentrale Rolle. Fürsprecher der Gentechnik plädieren mit einer aggressiven Kommunikationskampagne für eine weitgehende Deregulierung der Genom-Editierung. Der Entscheid des EuGH wird als «unwissenschaftlich und innovationsfeindlich» bezeichnet und Regulierungsbefürworter, welche eine konsequente Anwendung des im Umweltrecht verankerten Vorsorgeprinzips fordern, werden beleidigt.

Text: Zsofia Hock

Der Europäische Gerichtshof EuGH hat im Juli entschieden, dass Organismen, die mit neuen gentechnischen Verfahren wie der Genschere CRISPR/Cas erzeugt wurden, unter das europäische Gentechnikrecht fallen. Somit müssen Pflanzen, deren Erbgut mit solchen Methoden verändert wurde, als gentechnisch veränderte Organismen gekennzeichnet und geprüft werden. Das Urteil sorgte auf Seiten der Befürworter der neuen Verfahren für heftige Reaktionen und einen gehässigen Ton. In der Medienberichterstattung wird ein einseitiges Zerrbild eines absolut sicheren und präzisen, «natürlichen» Verfahrens vermittelt. Mögliche Risiken und grundsätzliche ethische Fragen werden kaum diskutiert. Argumente der kritischen Seite, unter denen sich nebst Konsumenten auch zahlreiche Fachspezialisten und Forscher befinden, kommen bei den meisten Medienberichten deutlich zu kurz.

Ein biologisches Textverarbeitungsprogramm

Am häufigsten wird mit der Präzision der neuen Verfahren geworben und der Entscheid des Europäischen Gerichtshofes als unlogisch apostrophiert und hinterfragt: Wie könnte eine hochpräzise Technologie riskanter sein als frühere, unpräzise Techniken? Buchstaben des Genoms zu editieren, zu löschen oder auszutauschen, wie mit einem Textverarbeitungsprogramm, das tönt leicht. In Wirklichkeit gibt es aber viele Stolpersteine. Der oft gebrauchte Vergleich hinkt. Nukleotide sind keine Buchstaben eines Textes, die nach Belieben gelöscht oder ausgetauscht werden können, sondern Moleküle, die eine oft komplexe Auswirkung auf andere Moleküle und somit auf den ganzen Organismus haben. Es gibt viele komplexe Interaktionen zwischen den Genen und den daraus resultierenden Proteinen, welche die Aktivität anderer Gene regulieren, aber auch zwischen dem Organismus und der Umwelt. Die Epigenetik hat zudem das Dogma gekippt, dass die Eigenschaften eines Organismus durch das vererbte Genmaterial unveränderbar bestimmt werden. Heute weiss man, dass Umweltveränderungen das Erbgut beeinflussen: Äussere Faktoren bestimmen im Zellkern, ob und in welchem Ausmass bestimmte Gene ein- und ausgeschaltet werden.

Wird ein einzelnes Nukleotid gelöscht oder ersetzt, kann dies also auf vielen verschiedenen Ebenen etwas bewirken. Einige Veränderungen werden sogar nur unter bestimmten agro-ökologischen Umständen sichtbar. Noch kennen die Forscher nur einen Bruchteil der involvierten Prozesse und noch weniger haben sie diese unter Kontrolle. Wenn man beim Vergleich mit dem Textverarbeitungsprogramm bleibt, wäre dies, als ob der Anwender der Software die Grammatik beziehungsweise die im Text verwendete Sprache kaum oder gar nicht beherrschen würde. Präzise bedeutet also nicht unbedingt sicher.

Die Genschere gleicht eher einer Kräuterhacke

Der oft gebrauchte Begriff «molekulare Genschere» vermittelt eine trügerische Botschaft über die Präzision der Methode. Die Funktion «Ausschneiden» arbeitet zwar relativ präzise und der Ort des Doppelstrangbruchs kann ziemlich genau festgelegt werden. Da die gleichen Gensequenzen auf einem Chromosom aber meist mehrfach vorhanden sind, und da Genscheren wie Cas9 aber auch schneiden, wenn keine absolute Übereinstimmung vorliegt, kommt es häufig zu mehreren Schnitten. Schwierigkeiten bereitet die Reparatur der getrennten Stränge. Sie werden meistens zufällig wieder zusammengefügt, unabhängig von ihrer Sequenz (nicht-homologe Endverknüpfung). Dies kann zu Nichtzieleffekten (off target) führen. Wesentlich seltener kommt es zur effizienteren Genreparatur durch homologe Rekombination, wodurch die Lücke korrekt geschlossen werden kann.

Déjà-vu – recycelte Slogans und Versprechen

Paradoxerweise nehmen industrienahe Biotechnologen das verfestigte negative Image der alten Gentechnikpflanzen auf, um für die Vorzüge der neuen Gentechnik zu werben. Produkte der klassischen Gentechnik, für die sie selber sich über 20 Jahre eingesetzt haben, werden plötzlich Risiken für Umwelt und Gesundheit attestiert, die nun behoben würden.

Auffallend merkwürdig wird es, wenn man das Rad der Zeit 20 Jahre zurückdreht und die damaligen Werbeslogans der Industrie anschaut. «Wir müssen die Welt ernähren» und «Anpassung an den Klimawandel» stand auch damals ganz oben auf der Liste. Genau die gleichen Lösungsstrategien werden auch heute propagiert, mit der gleichen Wortwahl. Doch wenn man einen Blick auf die Ergebnisse wirft, die die Gentechnik seit ihrem Anfang geliefert hat, sieht man, dass die Erfolge recht mager sind. Im Fokus der Forschung stehen noch immer dieselben wenigen Kulturpflanzen und Eigenschaften, wie beispielsweise Herbizidresistenzen. Doch die klassische Gentechnik hat es nicht geschafft, eine trockenheitstolerante Pflanze zu kreieren – und das ist auch von den neuen Methoden nicht zu erwarten, da diese komplexe Eigenschaft von über 100 Stellen im Genom mitreguliert wird.

Von der Natur inspiriert

Fokus 102 Fingerprint
Gentechnische Verfahren hinterlassen Narben in der Zelle. Das Muster dieser Narben ist so individuell wie ein Fingerabdruck, und dieser digitale Fingerabdruck wird von den Herstellerfirmen bereits verwendet, wenn es darum geht, ihr intellektuelles Eigentum durch ein Patent zu schützen – «ganz im Sinne der Natur». (Bild: Fotolia)

Eine beliebte Werbetaktik der Industrie ist es, die neuen gentechnischen Verfahren mit der Geschichte der Pflanzenzüchtung zu verknüpfen. Mit dem Ziel, diese sicherer und natürlicher erscheinen zu lassen. In diesem Sinne wird sehr auf die entsprechende Wortwahl geachtet und interne Kommunikationsstrategien empfehlen, statt von neuen gentechnischen Verfahren von neuen Züchtungsverfahren zu sprechen.

Besonders gerne wird der Begriff «gezielte Mutagenese» gebraucht. Damit wird auf die klassische Mutagenese angespielt, die nicht der Gentechnikrichtlinie der EU unterliegt. Damit wird suggeriert, dass Genscheren wie CRISPR/Cas Pflanzen hervorbringen, die sich von konventionellen Züchtungen kaum unterscheiden lassen, und daher auch von der Gentechnikregulierung ausgenommen werden sollten. Oft wird auch auf die vermeintlich fehlende Nachweisbarkeit der technisch induzierten Mutationen verwiesen und es wird behauptet, diese hätten auch in der Natur entstehen können und sie liessen sich nicht von natürlichen Veränderungen unterscheiden. Tatsächlich hinterlassen die neuen gentechnischen Verfahren im Genom spezifische Narben. Diese sind nachweisbar und könnten zum Nachweis einer künstlichen Mutation beigezogen werden. Das Muster dieser Narben ist wie ein digitaler Fingerabdruck. Er wird von den Hersteller firmen bereits verwendet, wenn es darum geht, ihr intellektuelles Eigentum durch Patente zu schützen – «ganz im Sinne der Natur».

Angsthasen auf Kreuzzug gegen die Wissenschaft

Diejenigen, die sich für eine unregulierte Zulassung der Verfahren einsetzen, drohen mit dem Schreckensgespenst, dass es nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes in Europa keine moderne und international konkurrenzfähige Pflanzenzucht mehr möglich sei. Diese werde durch das Vorsorgeprinzip unzulässig eingeschränkt. Das industriefreundliche «CRISPR Journal» fordert die Wissenschaftler dazu auf «als Evangelisten in einer von gefälschten Nachrichten und Wissenschaftsskepsis geprägten Medienlandschaft (...) die Akzeptanz von Wissenschaft und Technik zu fördern». Wie Wissenschaftler von der Industrie finanziell unterstützt und für die Zwecke der Industrie eingespannt werden, belegen die sogenannten Monsanto Papers.

Was dabei gerne verschwiegen wird, ist der Fakt, dass die neuen gentechnischen Verfahren nicht der einzige und ultimative Weg zur Innovation sind. Stattdessen sollte vielmehr auf die bisher unterfinanzierte alternative Forschung gesetzt werden, die schon tragfähige Ergebnisse geliefert hat und nachhaltigere, realistischere Lösungen bietet. Am Beispiel der USA zeigt sich, dass eine Deregulierung nicht unbedingt zu besseren Ergebnissen führt. Trotz «Forschungsfreiheit» können sie nicht mehr praktische Anwendungen oder bessere Ergebnisse vorweisen.

Risiken und Ethik

Fokus 102 GCTADas Sequenzieren ist in den letzten zehn Jahren sehr viel günstiger geworden. Doch es kommen Kosten hinzu, die nicht vergessen werden dürfen. Patente müssen bezahlt werden, Computerprogramme, die die enormen Datenmengen verarbeiten und auswerten können. Auch der Zugang zu Datenbanken über den genetischen Hintergrund der Pflanzen ist kostspielig. Kleine Unternehmen können sich so viel Aufwand kaum leisten und wenn doch, sind sie prädestiniert, von den grossen Konzernen aufgekauft zu werden. (Bild: Shutterstock)

Das rasante Tempo, mit dem sich die molekularbiologischen Werkzeuge entwickeln, und das wirtschaftliche Potenzial, das die Techniken besitzen, bergen grosse Risiken. Neben rechtlichen Auslegungen stellen sich damit auch grundsätzliche ethische Fragen.

Ein Grund des Disputes, der auf das EuGH-Urteil folgte, liegt darin, dass die Befürworter der neuen Gentechnik Organismen grundsätzlich anders definieren als Kritiker. Während die ersteren einen reduktionistischen Ansatz vertreten und Pflanzen auf ihre Gene und die daraus resultierenden Stoffe reduzieren, die einzeln und gezielt verändert und geprüft werden können, betrachten letztere Organismen als komplexe Systeme, die in Wechselbeziehung mit ihrer Umwelt stehen. Dementsprechend fordern sie eine umfassende Risikobewertung statt eines evidenzbasierten Nachsorgeprinzips.

Risikoforschung bei landwirtschaftlichen Anwendungen steht aber nicht im Interesse der Industrie. Sie verfolgt ein wirtschaftliches Ziel und eine möglichst schnelle Vermarktung ihrer Produkte. Trotz zahlreicher Hinweise auf potenziell negative Folgen der Gentechnik auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt, werden diese als unbedeutend dargestellt oder vertuscht. Anders in der Medizin, wo unerwünschte Effekte der neuen Verfahren unbestritten und Risikoprüfung und Frühwarnung ein Must sind.

Statt Überzeugungsarbeit im Sinne der Industrie zu leisten, sollten Wissenschaftler Verantwortung übernehmen und sich den gesellschaftlich wichtigen Fragen der Risikoforschung widmen: Unsicherheiten und Zusammenhänge aufdecken, unerwartete Effekte untersuchen. Die daraus resultierenden Erkenntnisse sollten in die öffentliche Diskussion eingebracht werden, um Entscheidungsprozesse zu verbessern und die Wahlfreiheit zu unterstützen. Ohne eine solche vorsorgeorientierte, unabhängige und transparente Risikoforschung können staatliche Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung und der Umwelt nicht hinreichend erfüllt werden. Dies steht im Einklang mit der Empfehlung der Ethikkommission EKAH im Hinblick auf die Regulierung neuer gentechnischer Verfahren. Die EKAH fordert, dass das Konzept der Vorsorge rechtlich gestärkt und konsequent umgesetzt werden muss.

Titelbild104 
(Bild: Greenpeace / Li Zikang)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 103

Lösungsansätze für eine nachhaltige Landwirtschaft

Seit der Nachkriegszeit hat sich die Landwirtschaft durch einen Prozess der Standardisierung und Industrialisierung von Agrar- und Ernährungssystemen grundlegend verändert. Die Erträge wurden deutlich gesteigert, jedoch auf Kosten der Ökologie. Die Gentechnik ist die logische Fortsetzung dieser Intensivierung. Doch statt Lösungen für anstehende Probleme zu bieten, verschärft sie diese.

Text: Dr. Luigi D'Andrea, Stop OGM

Die Grüne Revolution, wie der Umbau der Landwirtschaft durch Technologie, Chemie und billige Energie ab 1960 auch bezeichnet wird, hat es ermöglicht, die Erträge deutlich zu steigern. Die Kosten sind jedoch hoch: Verlust der Biodiversität, Versalzung der Böden, Bodensterilisation, Kontamination der Ökosysteme durch Pestizide und Düngemittel, Treibhausgase, Verringerung der Ernährungsqualität, Pestizidrückstände, erhöhte Abhängigkeit der Landwirte von den Produkten der agrochemischen Multis.

Diese Entwicklung führte auch zu einer Standardisierung der Agrarsysteme, was sie sehr anfällig für Krankheiten und Schädlinge machte. In einem ausgewogenen System kontrollieren sich die Organismen gegenseitig. Der Anbau einer einzelnen Sorte im grossen Stil erleichtert dagegen die Entwicklung und Ausbreitung von Schädlingen, da das Fehlen von Biodiversität die Schädlingsbekämpfung durch Nützlinge reduziert.

Gentechnik – eine logische Fortsetzung der Grünen Revolution

Fokus 104 Forscher
Die kleinbäuerliche Landwirtschaft bildet das wirtschaftliche Rückgrat der Länder des Südens. Sie sorgt für Einkommen und Beschäftigung. Sie schafft 80 Prozent aller Arbeitsplätze. Mit Gentechnik hergestellte Pflanzen werden für «reiche» Bauern entwickelt, die sich verschulden können. Für mittellose Kleinbauern taugen sie nicht. Ihnen helfen angepasste Sorten und Artenvielfalt, um ihre Erträge zu verbessern. (Bild: Geric Cruz / Greenpeace)

Der französische Philosoph Descartes glaubte, dass der Mensch die Natur durch Technik beherrschen könne. Auf diesem reduktionistischen Denkansatz basiert die Grüne Revolution. Doch dieser Ansatz hat eine ganze Reihe grundlegender Probleme hervorgebracht, die ihren Ursprung in der Definition von Fortschritt und Innovation haben, die in erster Linie auf Technik setzen und entsprechend bestimmen, welche Art von Produkten auf den Markt gebracht wird.

Die Gentechnik ist die Fortsetzung dieses Konzepts der Grünen Revolution. Sie hilft denjenigen Landwirten, die ein Modell wünschen, das noch produktiver und noch intensiver ist. Die anfallende Arbeit soll durch immer stärkere Standardisierung und technische Massnahmen wie beispielsweise den Einsatz von Herbiziden erleichtert werden. Dieses reduktionistische Denken manifestiert sich in grossflächigen Monokulturen.

Paradoxerweise wird die Gentechnik als Lösung für alle landwirtschaftlichen Probleme verkauft. In Wirklichkeit verschärft sie diese, was nicht überrascht. Denn dieses Produktionsmodell verstärkt die negativen Umwelteffekte und die Defizite solcher Agrarsysteme treten noch deutlicher zu Tage. So hat beispielsweise der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen, die resistent sind gegen Schädlinge (z.B. insektenwirksame Bt-Toxine), Krankheiten (mosaikvirusresistente Papaya) oder die eine Herbizidresistenz besitzen, die Entwicklung von Resistenzen bei Schädlingen, Krankheitserregern und Unkräutern beschleunigt. Die Resistenzen entwickeln sich immer schneller und die Zielorganismen werden immer resistenter. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass bei der Ausrottung eines Schädlings andere Schädlinge die entstehende ökologische Nische besetzen.

Symptome statt Ursachen werden bekämpft

Fokus 103 Agroforstwirtschaft
Agroforstwirtschaft, die Kombination von Bäumen und Landwirtschaft, stellt eine traditionelle Form des ökologischen Wirtschaftens dar. Das System erweist sich als hochproduktiv. Die Bäume binden Stickstoff und sorgen so für die Ernährung anderer Pflanzen. (Bild: Cheryl-Samantha Owen / Greenpeace)

Die Gentechnologie setzt, genauso wie Pestizide, bei den Symptomen von Ungleichgewichten in unseren Agrarsystemen an statt bei deren Ursachen und ist daher auch wirkungslos. Ihr Einsatz löst Probleme wie Schädlinge oder Unkräuter nicht, sondern verstärkt sie. Denn sie produziert Organismen, die ihre Leistungsfähigkeit schnell wieder verlieren und dann durch neue ersetzt werden müssen. Dies entspricht exakt der geplanten Obsoleszenz bei Produkten, die perfekt für die Herstellungsindustrie sind, aber wenig oder nichts zu nachhaltigen Lösungen beitragen.

Gentechnik taugt nicht dazu, belastbare und nachhaltige lokale Lösungen zu bieten, welche die Autonomie der Bauern und die Ernährungssouveränität fördern. Sie erhöht die Abhängigkeit der Landwirte von teuren Hochleistungspflanzen. Sie nutzt Labortechnologien, die teure Investitionen erfordern und patentierbare Produkte für die industrielle Landwirtschaft liefern. Sie generiert nur schlecht angepasste Produkte, die einerseits die Abhängigkeit der Landwirte von den Agrarkonzernen erhöhen und andererseits ein industrielles Produktionssystem fördern, das für eine gesunde und nachhaltige Ernährung der Menschheit ungeeignet ist. Was die Landwirte jedoch brauchen, sind einfach einsetzbare und standortangepasste Lösungen, die nicht zu viel Technik erfordern.

Neue gentechnische Verfahren – eine alte Rhetorik für ein veraltetes Produktionssystem

Eine Landwirtschaft, die der Maximierung des Gewinns dient, erzeugt soziale und ökologische Schulden. Für eine Nahrungsmittelproduktion, die der Menschheit dient, braucht es Betriebe, die so vielfältig wie möglich sind. Doch seit über 50 Jahren wird die Landwirtschaft von der technischen Entwicklung und nicht mehr vom Aufbau des Wissens zu landwirtschaftlichen Praktiken und Organismen geprägt. Landwirte wurden zu Landarbeitern gemacht, die auf die technischen Lösungen, welche die Industrie für die Produktion vorschlägt, nicht mehr verzichten können.

Landwirt zu sein, ist die Kunst, Pflanzen und Tiere in Einklang zu züchten, und nicht die Anwendung von verschiedenen Industrieprodukten. Gefragt ist heute mehr denn je ein landwirtschaftliches Innovationsmodell, das auf dem Wissen zu Agrosystemen aufbaut. Es braucht neue Anbaumethoden, die den veränderten Umweltbedingungen und unseren sich ändernden Bedürfnissen gerecht werden. Die Wissenschaft muss dazu ihren Beitrag leisten. Sie muss sich auf den Wissensaufbau zur lokalen Biologie konzentrieren und nicht auf die industrielle Agrochemie. Auch die neuen Gentechnikverfahren folgen diesem überholten Innovationsverständnis.

Auf dem Weg zur agroökologischen Landwirtschaft ohne Gentechnik

Fokus 104 SteakSeit 2017 wissen wir, dass auf den Feldern bis zu 75 Prozent der Insekten ausgestorben sind. Ihr Verschwinden zeigt, dass unser Ökosystem durch die intensive landwirtschaftliche Nutzung massiv geschädigt ist. Pestizide gelten als eine der Hauptursachen des Insektensterbens. (Bild: Peter Caton / Greenpeace)

Die Agrarökologie ist dagegen eine integrative Disziplin. Sie zielt darauf ab, zu verstehen, wie die verschiedenen Elemente eines landwirtschaftlichen Systems – Pflanzen, Tiere, Menschen, Umwelt – zusammenwirken, um produktiv und belastbar zu sein. Dank dieser Herangehensweise bietet sich die Agrarökologie als eine globale Lösung an, um lokal angepasstes Wissen und Technologie zu erschwinglichen Kosten für die Landwirte zu liefern. Sie klassifiziert und untersucht Agrosysteme aus ökologischer und sozioökonomischer Sicht und entwickelt ökologische Konzepte für die Gestaltung und das Management nachhaltiger Agrarsysteme.

Laut dem 2009 erschienenen Weltagrarbericht ist ein Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft dringend nötig. Nicht die Umwelt muss angepasst werden, um den bestehenden technischen Lösungen zu entsprechen. Sinnvoller ist es, sich an die lokale Umwelt anzupassen, indem die bestehenden Agrarsysteme diversifiziert werden. Lokal angepasste Systeme bieten mehr Widerstandsfähigkeit. Sie besitzen eine höhere Belastbarkeit, da sie sich nach einem störenden Ereignis besser erholen. Die internationale Forschung zeigt immer deutlicher, dass die Leistungsfähigkeit und Stabilität von Agrarökosystemen vom Grad der biologischen Vielfalt von Tieren und Pflanzen in und um das System herum abhängt. Das liegt vor allem daran, dass ein Organismus mehrere Funktionen erfüllt und eine Funktion von mehreren Organismen wahrgenommen wird. Dies erklärt, warum ein neuer Schädling auftreten kann, wenn ein bestehender vernichtet wird.

Die Biodiversität erbringt eine Reihe von ökologischen Dienstleistungen, die über die Nahrungsmittelproduktion hinausgehen, wie beispielsweise Nährstoffrecycling, Regulierung des Wasserhaushaltes, Stickstofffixierung, Entfernung unerwünschter Organismen oder Entgiftung toxischer chemischer Verbindungen. Um dies möglichst optimal zu erreichen, muss unsere Nahrungsmittelproduktion auf landwirtschaftliche Anbausysteme ausgerichtet werden, die sich für kleine Betriebe eignen. Kleinflächige Systeme reagieren viel dynamischer auf Veränderungen. Gentechnik ist dagegen nur auf grossen Flächen rentabel.

Forschungsgelder ungleich verteilt

Heute entfallen laut einer europäischen Studie zwei Drittel der öffentlichen Mittel, die für die landwirtschaftliche Forschung zur Verfügung stehen, auf die Entwicklung von Gen- und Biotechnologie. Solche Projekte sind teuer, riskant und sie bieten keine Lösungen für die Probleme, mit denen sich die Landwirtschaft heute konfrontiert sieht. Wenn Ernährungssouveränität, mehr Autonomie in den ländlichen Gemeinden und letztlich mehr Widerstandsfähigkeit in unseren Ernährungssystemen erzielt werden soll, können wir uns nicht auf ein Modell standardisierter, zentralisierter und kapitalintensiver Innovationen stützen, bei denen Wissen privatisiert und konzentriert ist, wie dies bei der Gentechnik der Fall ist. Die Agrarökologie hingegen kann weltweit erfolgreich eingesetzt werden. Sie kommt ohne Gentechnik aus und stellt eine effektive «Alternative» dar. Nötig ist dazu eine Änderung bei der Ausrichtung der Forschungsagenda und der Förderschwerpunkte. Damit die Agrarökologie in grossem Umfang realisiert werden kann, braucht sie die notwendige politische und finanzielle Unterstützung.

Titelbild 94 
(Bild: Peter Caton/Greenpeace)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 94

Wer die Saat hat, hat das Sagen

Mit den geplanten Fusionen in der Agrarindustrie entstünden drei gigantische Agro- und Chemiekonzerne, die über 60 Prozent des kommerziellen Saatguts und über 65 Prozent der Pestizide beherrschten. Diese Konzentration sei gefährlich, warnen besorgte Organisationen in einem offenen Brief an die EU-Wettbewerbs-kommission. Sie gefährde nicht nur die Arten- und Sortenvielfalt, sondern auch die Ernährungssicherheit.

Text: Denise Battaglia

«Eine Handvoll Konzerne hat sich den Zugriff auf die Welternährung gesichert.» Das ist keine polemische Zuspitzung, sondern das nüchterne, auf Fakten beruhende Fazit der Organisationen Brot für alle und Coordination gegen Bayer-Gefahren in einem Mitte Februar verschickten offenen Brief an die EU-Kommissarin für Wettbewerb, Margrethe Vestager. Den Warn- und Weckruf haben 15 weitere Organisationen mitunterzeichnet.

Es werden wohl bald nicht einmal mehr eine ganze Handvoll, sondern nur noch vier Konzerne sein, die künftig bestimmen, was die Bäuerinnen und Bauern auf der ganzen Welt anbauen und was wir alle essen. Die Machtkonzentration in der Saatgutindustrie schreitet mit schwindelerregendem Tempo voran. Die Lage sieht derzeit wie folgt aus:

— Der Staatskonzern ChemChina, das grösste Chemieunternehmen in China, will den Basler Agrokonzern Syngenta kaufen,
— die beiden US-Konzerne DuPont und Dow Chemical wollen fusionieren,
— der deutsche Bayer-Konzern, derzeit der zehntgrösste Chemieproduzent der Welt, bereitet die Übernahme des US-Agrokonzerns Monsanto vor.

Kommen alle Zusammenschlüsse zustande, würden die drei Giganten Bayer/Monsanto, Dupont/Dow, ChemChina/Syngenta über 60 Prozent des kommerziellen Saatgutmarktes beherrschen. Die drei Konzerne besitzen zudem gemäss dem Konzernatlas 2017 fast alle gentechnisch veränderten Pflanzen und verfügen mit BASF über 37 Prozent aller europäischen Patente auf Pflanzen. «Eine Branche schrumpft sich gross» titelt der Konzernatlas 2017 über die neuen Zusammenschlüsse in der Agrar- und Lebensmittelindustrie.

Wer über das Saatgut verfügt, verfügt über die Ernährung

Fokus 94 Diversität
(Bild: Clipdealer)

«Wer die Saat hat, hat das Sagen», lautet ein Bonmot. Schon jetzt werden für den Weltmarkt immer mehr Hochleistungssorten in immer grösseren Mengen produziert – zulasten der Vielfalt. In Indien werden auf 75 Prozent der Reisfelder nur noch 10 Sorten angeboten. Vor der Kolonialisierung durch die Engländer waren es noch 400 000, bis Mitte des 19. Jahrhunderts noch 30 000 Sorten, wie in der im Januar erschienenen Studie «Saatgut – Gemeingut» nachzulesen ist. Ein anderes Beispiel: In den USA wachsen auf 71 Prozent der Anbauflächen nur noch sechs verschiedene Sorten Mais, und 96 Prozent der kommerziellen Produktion von Erbsen werden mit gerade mal zwei Sorten erzielt. Es schwindet nicht nur die Vielfalt, auch unser kulturhistorisches Erbe und das Wissen der Bauern über lokale Sorten geht verloren. Die Monopolisierung gefährdet unsere Nahrungsmittelsicherheit.

Herrscher über 65 Prozent des Pestizidmarkts

Bayer/Monsanto, Dupont/Dow, ChemChina/Syngenta und BASF verkaufen auch die wichtigsten Pestizide: Monsanto stellt das vom Grossbauern bis zum Hobbygärtner benutzte Unkrautvernichtungsmittel Roundup mit dem hochumstrittenen Wirkstoff Glyphosat her. Bayer und Syngenta gehören zu den grössten Herstellern von sogenannten Neonicotinoiden, die verdächtigt werden, für das Bienensterben mitverantwortlich zu sein. Die Konzerne würden künftig über 65 Prozent des globalen Pestizidmarktes verfügen. Dass die geplanten Zusammenschlüsse die vom Weltagrarbericht geforderte ökologische Landwirtschaft fördern, darf man gründlich bezweifeln. Mit der gigantischen Schrumpfung kämen die Chemie- und Agrokonzerne ihrem Ziel, «die marktbeherrschende Stellung bei Saatgut und Pestiziden zu erreichen, also Produkte, Preise und Qualitätzu diktieren» näher, schreiben die Autoren des Konzernatlas 2017.

Kontrolle vom «Acker bis zur Ladentheke»

Fokus 94 Pestizid
Künftig werden drei Grosskonzerne über 65 Prozent des Pestizidmarkts herrschen. (Bild: Clipdealer)

Die Agro- und Chemiekonzerne versuchten, wie der Konzernatlas aufzeigt, alle Stufen der Lieferkette «vom Acker bis zur Ladentheke» zu beherrschen. Sie mischen vermehrt auch bei der Agrartechnik mit und fordern Zugriff auf die Daten der Landwirtschaft 4.0. Mit Landwirtschaft 4.0 meint man die Digitalisierung der Betriebe: So sollen zum Beispiel künftig Drohnen Pestizide über die Pflanzen sprühen, die Tiere mit Sensoren für Milchmengen, Bewegungsmuster und Futterrationen ausgestattet, Traktoren mit GPS gesteuert werden, und Sensoren im Boden sollen Informationen über die Bodenqualität liefern. Für die grossen Landwirtschaftsmaschinenhersteller, aber auch für die Chemie- und Agrarkonzerne eröffnet sich damit ein immenser Markt – und Zugang zu wertvollen Daten. Gemäss dem Konzernatlas 2017 hat sich zum Beispiel der Traktorbauer John Deere mit Syngenta, Dow und Bayer verbündet, um die Geräte zu entwickeln, die für diese Präzisionslandwirtschaft benötigt werden. Ziel sei, eines Tages das firmeneigene Saatgut mit äusserst präzisen Pflanz- und Messsystemen zu verbinden, was aber auf der anderen Seite die Abhängigkeit der Landwirte von den Grosskonzernen weiter verstärkt.

Die ETC-Group, die sich unter anderem für die Bewahrung und Förderung der kulturellen und ökologischen Diversität engagiert, warnte bereits vor anderthalb Jahren, dass die Megafusionen «die Basis unserer Lebensmittelversorgung» untergraben und die Umwelt weiter schädigen werden. Sie forderte die Politik in einem Communiqué auf, über Kartellverbote dafürzu sorgen, dass Pestizidhersteller nicht auch Saatgut produzieren und Landwirtschaftsmaschinenhersteller nicht gleichzeitig Pestizide, Saatgut und Landwirtschaftsversicherungen kontrollieren dürften. Auch die Absender des offenen Briefs fordern die EU-Wettbewerbskommission auf, das geplante «Oligopol» zu unterbinden. «Dieser Konzentrationsprozess stellt eine Bedrohung für die Welternährung und für die Zukunft der Landwirtschaft sowohl in Europa als auch weltweit dar», schreiben sie.

Saatgut als Gemeingut

Fokus 94 GZPK
«Die grosse Vielfalt der Kulturpflanzen ist ein Menschheitserbe, das wir nicht den Konzernen überlassen dürfen, denen es vor allem um Profitmaximierung geht. Unser Saatgut ist kein Wirtschaftsgut. Es ist ein Kulturgut und gehört uns allen.» Peter Kunz, Bio-Saatgutzüchter (Bild: Giorgio Hösli für GZPK)

Das Saatgut war über viele Jahrtausende ein Gemeingut, das lokal nachgebaut, weiterentwickelt und getauscht wurde. Daran erinnert die Studie «Saatgut – Gemeingut» von Johannes Wirz, Forscher am Goetheanum, Getreidezüchter Peter Kunz und Ueli Hurter, biologisch-dynamischer Landwirt. Noch heute gibt es weltweit viele Züchter und Bauern, die lokale und ökologisch nachhaltige Sorten züchten und anbauen. Eine Studie aus dem Jahre 2015 hat gezeigt, dass die Sortenvielfalt von Kulturpflanzen weltweit von Bäuerinnen und Bauern mit weniger als zwei Hektar Ackerfläche gepflegt, erhalten, getauscht und weiterentwickelt werde. Dort, wo das Saatgut also traditionellerweise noch als Gemeingut betrachtet werde, sei auch die Vielfalt am grössten. Doch diese Vielfalt ist durch die Machtkonzentration der Saatgutbesitzer gefährdet. Die Autoren der Studie «Saatgut – Gemeingut» fordern dazu auf, wieder zu diesem Gemeingutgedanken zurückzukehren, um den Verlust der Sortenvielfalt aufzuhalten und Ernährung etwas unabhängiger von den Agro- und Chemiegiganten zu machen.

Gemeinsame Sorge um das «Menschheitserbe»

Dieser Gemeinschafsgedanke war es auch, der uns Sicherheit und Wohlstand brachte: Dank der Kooperation von Menschen gibt es Bewässerungsanlagen, soziale Institutionen – oder eben über Jahrhunderte weiterentwickeltes, an lokale Gegebenheiten angepasstes Saatgut für Gemüse, Früchte und Obst. «Die grosse Vielfalt der Kulturpflanzen ist ein Menschheitserbe, das wir nicht den Konzernen überlassen dürfen, denen es vor allem um Profitmaximierung geht», sagt Getreidezüchter Peter Kunz. «Unser Saatgut ist kein Wirtschaftsgut. Es ist ein Kulturgut und gehört uns allen.» Zwar müsse der Züchter für seine Züchtungsarbeit – die Züchtung einer neuen Sorte braucht zwischen sieben und zehn Jahren Zeit – entschädigt werden, aber das Saatgut, «die Quelle des Lebens», sollte Nutzergemeinschaften frei zur Verfügung stehen, die es pflegen, bewahren, weiterentwickeln. Die Getreidezüchtung Peter Kunz ist selbst ein Verein, der sich diesem Gemeingutgedanken verpflichtet hat. Sein grosses Vorbild sei Masipag auf den Philippinen, erzählt Peter Kunz (siehe Box unten). «Eine Vielfalt an Sorten ist essenziell, damit sich die Landwirtschaft an die sich verändernden Umweltbedingungen, zum Beispiel an den Klimawandel, anpassen kann und weiterhin gut über die Runden kommt», betont Kunz. Die gemeinsame Sorge um das regionale Saatgut macht auch unabhängiger von den Agrarkonzernen: Statt Hybridsaatgut der Konzerne zu kaufen, welches die Bauern im Folgejahr nicht wiederverwenden können, bauen sie lokale, an hiesige Verhältnisse angepasste, robuste Sorten an, deren Saatgut sie aufbewahren, verwenden und untereinander tauschen können.


Gemeinsam für Saatgut

Masipag ist ein Zusammenschluss von Dorfgemeinschaften, Bäuerinnen und Bauern mit 30 000 Mitgliedern, 23 NGOs, 20 kirchlichen Entwicklungsorganisationen und 15 wissenschaftlichen Partnerorganisationen. Masipag verfügt über beinahe 200 Versuchsfarmen, auf denen sie Saatgut für Reis und Mais züchtet, sowie zwei nationale und acht regionale Vermehrungsbetriebe. Masipag erhält und vermehrt in rund 150 Samenbanken auf den Versuchsbetrieben rund 2500 Reissorten, davon 1290 Masipag-Varietäten und 506 Landsorten, die von 67 Bauern gezüchtet worden sind. Der Tausch der Sorten, die allen interessierten Landwirten zur freien Verfügung stehen, sei weit verbreitet, schreiben die Autoren von «Saatgut – Gemeingut».


Vorsorgeprinzip gefährdet?

Der deutsche Konzern Bayer würde mit der Übernahme von Monsanto der Gigant unter den Grossen. Die Autoren des Konzernatlas 2017 befürchten, dass der neue Riese das europäische Vorsorgeprinzip anfechten könnte. Denn dieses fordert beispielsweise, dass Pestizide keine EU-Zulassung erhalten, bevor nicht nachgewiesen ist, dass sie für Mensch und Umwelt unbedenklich sind. Ebenso könnte die bisherige Kennzeichnungspflicht von Gentech-Pflanzen in der EU in Frage gestellt werden.


Titelbild 93 
(Bild: Aurel Märki)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 93

Die gleichen Heilsbotschaften wie vor 30 Jahren

Wer die Versprechen rund um die Möglichkeiten der Gentechnik in den letzten 25 Jahre etwas mitverfolgt hat, erlebt gerade ein Déjà-vu. Eine neue Methode der Gentechnik hat bei Forschenden und Medien wieder eine fragwürdige Euphorie ausgelöst, die sie nahezu blind macht für deren Risiken und das eigene Nichtwissen.

Text: Denise Battaglia

Crispr/Cas9 (sprich: Krispr Kas neun) nennen die Forschenden das jüngste Laborwerkzeug, mit dem sie angeblich präzise in das Genom von Lebewesen eingreifen. Im Erbgut werden damit gezielt Gene gesucht, ausgeschnitten, verändert und ersetzt. Das Wissenschaftsfachblatt «Science» bezeichnete die neue Technik vor anderthalb Jahren als «Durchbruch des Jahres», das Fachblatt «Nature» attestierte der «mächtigen Technologie» das Potenzial, die Natur zu übertrumpfen. Man habe den «Gottes-Code» geknackt. Der Mensch nehme die Evolution nun in seine eigene Hand, schrieben Journalisten mit einer Mischung aus ehrfürchtiger Bewunderung und schauderndem Bangen vor dem, was da kommen könnte. Immerhin haben chinesische Forscher bereits menschliche Embryonen mit dem neuen Laborinstrument manipuliert – während zeitgleich eine Gruppe von Forschenden ihre Kolleginnen und Kollegen weltweit zu einer Selbstbeschränkung bei der Anwendung von Crispr/Cas9 am Menschen aufrief.

Doch auf den Einsatz des molekularen Werkzeugs, mit dem sich offenbar eine Menge anstellen lässt, mögen die Forschenden nicht verzichten. Sie träumen – immer noch – von einer schönen neuen Welt. Crispr/Cas9, das eine Immunabwehr-Strategie von Bakterien nachahmt, vermöge die Landwirtschaft vor Schädlingen, die Menschheit vor grossen Krankheiten und vom Welthunger zu befreien, prophezeien Gentechniker und Medien im Chor. Vor zwei Jahren haben US-Forscher zudem ein Verfahren entwickelt, mit dem man Crispr/Cas9 so in die Keimbahn von Lebewesen einbauen kann, dass eine gewünschte Veränderung rasch an die Nachkommen weitervererbt wird: Gene Drive, Genschub, nennt es sich. Damit könne man ganze Populationen verändern, ausrotten oder vermehren, verkünden die Ingenieure des Lebens. Je nachdem, was man gerade weg haben oder anders haben will (siehe gentechfrei Nr. , April 2016). Crispr/Cas9 und Gene Drive seien womöglich ein «grosser Segen für die Menschheit», sagte der US-Biochemiker Kevin M. Esvelt, der Gene Drive mitentwickelt hat, gegenüber dem Nachrichtenmagazin «Der Spiegel». Was für die Menschheit ein Segen ist, bestimmen also die Gentechniker.

«Propaganda mit Heilsversprechen»

Fokus 93 Genschere
(Bild: Aurel Märki)

Schon in den 1980er-Jahren verpackten die Gen-Ingenieure ihre Propaganda für die Gentechnik in dieselben Heilsbotschaften. Die Argumente seien immer die gleichen, sagt der Biologe Luigi DʼAndrea, Geschäftsführer von StopOGM: «Wir heilen Krankheiten, wir rotten die Krankheitserreger aus, wir nähren die Hungernden dieser Welt.» Die neue Technik werde bereits vor ihrer Zulassung durch eine spätere Anwendung gerechtfertigt, «um ihr damit einen demokratischen Anstrich zu geben». Die Heilsrhetorik verleihe den Forschern die Aura der «Allmacht». Bloss: «Es handelt sich auch dieses Mal um ein Märchen», sagt D’Andrea, der auch Vorstandsmitglied der Critical Scientists Switzerland ist.

Tatsächlich waren die Versprechen aus den 1980er-Jahren nahezu verstummt, weil die meisten nicht in Erfüllung gingen. Die Forscher mussten feststellen, dass das Genom nicht wie eine Software programmiert werden kann und Lebewesen nicht wie Computer reagieren. «Es ist klargeworden, dass es letztlich nicht mit dem blossen Wissen um Genomsequenzen getan ist. Zwischen den Chromosomen und dem Organismus liegt eine ganze Welt der heute so genannten Epigenetik», schrieb Hans-Jörg Rheinberger, ehemaliger Direktor des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte in Berlin in der NZZ. Namhafte Studien haben gezeigt: Die Gleichung 1 Gen = 1 Effekt ist falsch.

Doch viele Lebensingenieure halten am alten Bild fest, wonach ein Lebewesen eine Maschine ist, der die DNA als Blaupause zugrunde liegt, sagt Angelika Hilbeck, Agrarökologin an der ETH Zürich.

Studien haben gezeigt, dass Gene nicht auf Knopfdruck reagieren.
Angelika Hilbeck: Das Leben ist viel komplexer, das Genom ist nur ein Teil dessen, was ein Lebewesen, seine Eigenschaften, sein Verhalten ausmacht. Jedes Lebewesen ist eine einzigartige Kombination verschiedenster Einflüsse, Wechselwirkungen und Anpassungen an die Umwelt auf verschiedenen Ebenen. Und von allen diesen Wechselwirkungen kennen wir nur den kleinsten Teil.

Trotzdem lautet die Gleichung in der Gentechnik immer noch: 1 Gen = 1 Effekt.
Die Gentechniker haben ein maximal reduktionistisches Verständnis von Leben. Sie behandeln das Leben wie einen Computer. Sie denken, dass die «Software» in den Lebewesen nicht gut genug ist, dass sie den «Code» bloss noch etwas besser programmieren müssten. Aber Gene geben – im Gegensatz zur Software eines Computers – keine linearen Anweisungen weiter. Gene erfüllen nicht nur eine Funktion, sie sind meistens multifunktional.

Was bedeutet es, wenn Forschende ein Gen ausschalten?
Wenn man ein Gen stilllegt, weil man damit einen bestimmten Effekt erreichen will, muss man damit rechnen, dass diese Manipulation noch ein paar andere Dinge ab- oder umschaltet, da man in ein Netzwerk von rückgekoppelten Prozessen eingreift. Ich behaupte nicht, dass die DNA keine Rolle spielt. Aber wir verstehen die Genetik längst nicht so gut, dass wir ohne grösstmögliche Sicherheitsüberprüfung und Konsultation von Experten jenseits der Gentechnikerkreise das Erbgut manipulieren dürfen.

Die Forscherinnen und Forscher wissen gar nicht, was sie tun?
Zu wenig, um sie einfach machen zu lassen. Das ist wie wenn ich aus einem Buch über die Lehre von Konfuzius, geschrieben in klassischem Chinesisch, einzelne Zeichen suchen, sie ausschneiden und mit anderen Zeichen ersetzen und behaupten würde, ich wüsste, wie sich der Sinn des Textes verändert hat. Ich wüsste nicht, was ich getan hätte, weil ich diese Sprache höchstens rudimentär verstehe. Vor allem verstehe ich die Grammatik nicht, die Regeln der Sprache, und damit auch nicht, wie sich der Sinn des Textes verändert, wenn ich einen Textabschnitt entferne, verändere oder ersetze.


Fokus 93 Hilbeck
Die Agrarökologin Angelika Hilbeckarbeitet als Dozentin und Forscherin am Institut für Integrative Biologie an der ETH Zürich und leitet dort die Gruppe Biosicherheit & Agrarökologie.


«Solange es funktioniert, müssen wir es nicht verstehen»

Dass die Forscher nicht wissen, was sie tun, hat der Biophysiker Bo Hang, der Crispr/Cas9 täglich anwendet, offen eingeräumt: «Es herrscht die Mentalität vor, dass wir nicht verstehen müssen, wie es funktioniert, solange es funktioniert», zitiert ihn «StopOGM Infos». In der Praxis hat sich gezeigt, dass Crispr/Cas9 doch nicht so präzise schneidet, wie dies die Forscher möchten. Manchmal schneidet die Molekularschere auch Teile der DNA aus, die sie nicht ausschneiden sollte.

Dies wirft grosse ethische Fragen auf. Zum Beispiel jene nach der Verantwortung für unbeabsichtigte Folgen der neuen Gentechnik. «Die Verantwortung für allfällige Schäden und Fehlentwicklungen lehnen die Gentechniker und die Firmen, die dahinter stecken, ab, aber die Eigentumsrechte und die daraus resultierenden Profite fordern sie selbstverständlich ein», kritisiert Angelika Hilbeck. Um die Eigentumsrechte der Crispr/Cas9-Anwendung findet gerade ein «hässlicher, titanischer Kampf» zwischen zwei Forschergruppen statt, wie «Nature» berichtete.

«Präzision sagt nichts aus über die Sicherheit»

Fokus 93 Ratlos
Können die anstehenden Probleme der Landwirtschaft und der Ernährung mit einer zusätzlichen Dosis Technologie gelöst werden? Im Labor entwickelte Superpflanzen sollen resistent gegen Krankheiten und Schädlinge, tolerant gegen Dürre und zusätzlich noch ertragreicher sein. (Bild: Aurel Märki)

Die Mehrheit der eidgenössischen Ethikkommission (EKAH) sprach sich dafür aus, die neuen Verfahren dem Gentechnikgesetz zu unterstellen und damit einer Risikobewertung. Grund: Die neuen Verfahren könnten neben den beabsichtigten auch «unbeabsichtigte und unvorhergesehene Veränderungen zur Folge haben». Ob Crispr/Cas9 als Gentechnik eingestuft wird oder nicht, wird der Gesetzgeber entscheiden. Die Gentechnikbefürworter möchten keine strengere Regulierung als bei konventioneller Züchtung. Das sieht Eva Gelinsky, Agrarwissenschaftlerin und Mitglied der EKAH, etwas anders.

Die Forscher sagen, die Veränderungen an der DNA mittels Crispr/Cas9 seien so präzise, dass die Produkte sicher seien.
Eva Gelinsky: Präzision hat nichts mit Vorhersehbarkeit und Sicherheit zu tun, aber genau das suggerieren die Gentechnik-Forscher.

Ein präziser Schnitt in die DNA bürgt nicht für Sicherheit?
Wenn Forscher präzise in die DNA von Lebewesen schneiden, heisst dies nicht, dass sich die Lebewesen so verhalten, wie sie es sich ausgedacht haben. Eine Prognose ist kaum möglich. Die Forscher fokussieren sich immer noch allein auf die DNA, dabei wissen wir heute, dass es auch noch andere Ebenen gibt, zum Beispiel jene der RNA oder jene der Epigenetik. Der angeblich präzise Schnitt in die DNA ist auf einer anderen Ebene womöglich alles andere als präzise. Die Forscher machen die gleichen Fehler wie bei der klassischen Gentechnik: Sie glauben, dass man an der Pflanzen- oder Tier-Maschine nur an einer Schraube drehen muss, damit sie sich verhält, wie man es will. Sie tun so, als hätten sie alles im Griff.

Machen Sie sich Sorgen?
Was mir Sorgen macht, ist der grosse Hype, der nahezu blind macht für die Risiken. Dem Vorsorgeprinzip Gehör zu verschaffen, ist derzeit sehr schwer. Unabhängige Langzeitforschung über die Risiken der neuen Verfahren steht dem kurzfristigen Profit im Wege, dabei kann der Mensch mit den neuen Verfahren erstmals unwiderruflich ins Ökosystem eingreifen. Ich mache mir auch Sorgen, weil der Grossteil der Forschungsgelder einseitig in die Gentechnik investiert wird, die Forschung für alternative Züchtungs- und Landwirtschaftsmodelle, zum Beispiel die biologische, kommt zu kurz. Es ist schon aus wirtschaftlicher Sicht nicht besonders klug, alles auf eine Karte zu setzen.

Die Rheinauer Thesen definierten 2008 die Zelle als kleinste Einheit, in die nicht eingegriffen werden darf. Der biologische Landbau hat diese Grenzsetzung übernommen. Ist dieser Gedanke überholt? «Im Gegenteil», glaubt Eva Gelinsky. Die Internationale Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen (IFOAM) hat vor einem Jahr explizit festgehalten, dass die neuen Gentechnikverfahren mit den Prinzipien der biologischen Landwirtschaft nicht vereinbar sind, weil sie die Zellgrenze überschreiten und in das Genom eingreifen.


Fokus 93 Gelinsky
Die promovierte Agrarwissenschaftlerin Eva Gelinsky ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Pro Specie Rara. Sie koordiniert die Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit und ist Mitglied der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausser-humanbereich (EKAH).


Titelbild 96 
(Bild: Greenpeace/Stutz)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 95

Die Schweiz bleibt weiterhin gentechfrei — oder doch nicht?

In der Schweiz wachsen keine genmanipulierten Pflanzen. Dies ist ein Erfolg des zum dritten Mal verlängerten Anbaumoratoriums der Gentechfrei-Initiative aus dem Jahre 2005, welche die SAG mit ihren Partnerorganisationen lanciert hatte. Doch nun drängen neue gentechnisch veränderte Pflanzen auf den Markt – ob sie dem Moratorium unterstellt werden, ist noch unklar.

Text: Denise Battaglia, Paul Scherer

Zum dritten Mal hat das eidgenössische Parlament das Gentech-Moratorium verlängert, es dürfen in der Schweiz weiterhin keine genmanipulierten Pflanzen angebaut werden. Das Verbot gilt bis ins Jahr 2021. Auch die Koexistenz wurde abgelehnt.

Die Unschuld (noch einmal) bewahrt

Fokus 95 Treppe
(Bild: Yoshiko Kusano)

Die Schweiz sei zu klein für ein Nebeneinander von gentechnisch veränderten und konventionellen Pflanzen, lautete der Tenor im Ständerat in der Frühlingssession. Würden gentechnisch manipulierte Pflanzen einmal zugelassen, liessen sich Verunreinigungen nie mehr rückgängig machen. «Man kann die Unschuld nur einmal verlieren», sagte der Schaffhauser SVP-Ständerat Hannes Germann treffend. Die Schweiz hat sich die Unschuld (noch einmal) bewahrt. Martina Munz, SP-Nationalrätin und Präsidentin der Schweizer Allianz Gentechfrei (SAG), freut sich über die Verlängerung des Verbots um vier Jahre. «Dass die Schweiz bis heute gentechfrei ist, verdanken wir dem Engagement der SAG und den Partnerorganisationen.» Ein Verbot auf unbestimmte Zeit wäre Martina Munz allerdings lieber gewesen: «Unser Ziel haben wir erst dann erreicht, wenn wir den Grundsatzentscheid für eine ökologische, ganzheitliche, risikofreie Landwirtschaft gefällt haben.»

Das Moratorium für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen (GVO) geht auf die von der SAG und ihren Partnern lancierte Gentechfrei-Initiative aus dem Jahr 2005 zurück, die ein Verbot für gentechnisch veränderte Pflanzen für fünf Jahre forderte. Für die Initiative spannten Parteien aus dem gesamten politischen Spektrum von links bis rechts und Organisationen aus der Landwirtschaft, aus dem Umwelt-, Tier- und Konsumentenschutz zusammen. Trotzdem war die Volksabstimmung ein Kampf Davids gegen Goliath: Hier die nicht profitorientierten Umwelt- und Bauernorganisationen, dort die finanzstarke Wirtschaft, mit den Chemie- und Agrokonzernen im Rücken.

Obwohl Bundesrat und Parlament die Initiative zur Ablehnung empfohlen hatten, stimmten ihr 55,7 Prozent der Bevölkerung und alle Kantone zu. Es gab auch keinen Röstigraben, keine Kluft zwischen den Stadt- und Landkantonen. Die Annahme der Initiative gehört zu den grössten Erfolgen der im Jahre 1990 gegründeten SAG und ihrer Partner.

Bevölkerungsumfrage zeigt hohe Ablehnung

Fokus 95 Applaus
(Bild: Monika Flückiger)

Dank dieses Volksentscheides und des nun zum dritten Mal verlängerten Moratoriums ist die Schweiz gentechfrei. Dies entspricht noch heute dem Willen der Bevölkerung.

Die Befragten wollen keine Gentechnik auf dem Feld und keine Pestizide auf dem Teller. Aber gerade die gentechnisch veränderten Kulturpflanzen, die seit gut 30 Jahren auf dem Markt sind, wurden im Labor so verändert, dass sie entweder Schädlingsgifte absondern (sogenannte Bt-Pflanzen) oder gegen die Besprühung mit Unkrautvernichtungsmitteln (Herbizide) immun sind. «Weit über 90 Prozent der Gentech-Pflanzen mit einer Herbizidresistenz sind gegen ein einziges Herbizid immun – gegen Round-up von Monsanto», kritisiert die Basler Biologin Florianne Koechlin, Mitinitiantin der Gentechfrei-Initiative und Gründungsmitglied der SAG. «Wir sind heute mit einer gigantischen weltweiten Pestizidmonokultur konfrontiert, das hat es noch nie gegeben.» Diese Monopolstellung, die durch die geplanten Fusionen unter den grössten Agro- und Chemiekonzernen (siehe gentechfrei, Nr. 94, Mai 2017) und durch Patentierungen von Saatgut noch verstärkt werde, zerstöre auch die Vielfalt auf dem Feld, sagt die Biologin. Auch Florianne Koechlin freut sich über die erneute Moratoriumsverlängerung, «aber eigentlich braucht es ein Verbot. Wir brauchen diese Technologie nicht.»

Mehrheit der EU-Länder will keine Gentech-Pflanzen

Fokus 95 Sommaruga
(Bild: Yoshiko Kusano)

Transgene Pflanzen will auch die Mehrheit der EU-Staaten nicht. 17 von 28 EU-Staaten haben von der sogenannten Opt-out-Regelung Gebrauch gemacht. Mit ihrem Moratorium ist die Schweiz somit in bester Gesellschaft, sie ist keine gentechfreie Insel, wie die Wirtschaftsverbände gern behaupten. Womöglich stand die Schweiz mit ihrem Moratorium den EU-Ländern sogar Modell: Bereits vor acht Jahren nannte die 5. Europäische Konferenz der gentechnikfreien Regionen die Schweiz einen «Leuchtturm», der «mit dem Gentech-Moratorium Europa den Weg weist».

USA: Erster Widerstand gegen Gentech-Nahrungsmittel

Auch die amerikanischen Konsumentinnen und Konsumenten sind skeptischer geworden. Die Nachfrage nach gentechfreien Produkten wächst so stark, dass bei einigen Pflanzen Rohstoffe oder gentechfreies Saatgut aus Europa und Asien importiert werden müssen. In verschiedenen Bundesstaaten kamen Initiativen zur Abstimmung, die ein Anbauverbot oder eine Deklarationspflicht für GVO forderten. Als erster US-Bundesstaat hat Vermont 2014 eine Deklarationspflicht eingeführt. Grosse amerikanische Lebensmittelkonzerne wie Campbell Soups, Mars und Kellogg’s wollen ihre Produkte kennzeichnen, wenn sie gentechnisch veränderte Pflanzen enthalten.

Gentechnisch veränderte Pflanzen durch die Hintertür?

Fokus 95 Schild
Gemäss der UNIVOX-Umwelt-Studie von 2015 nehmen 70 Prozent der Befragten gentechnisch veränderte Lebensmittel als Gefahr wahr. Nur Klimawandel, Kernkraftwerke und vor allem Chemikalien und Pestizide werden als noch gefährlicher bewertet. (Bild: Yoshiko Kusano)

Verschwinden genmanipulierte Pflanzen folglich bald wieder vom Markt? Das Gegenteil ist zu befürchten. Den Forschern stehen heute einfach zu handhabende und billige Instrumente zur Verfügung, wie das Genome Editing, mit denen sie gezielt Mutationen in ganz bestimmten Abschnitten der DNA herbeiführen, ganze Genabschnitte ausschneiden, ersetzen oder verändern können. Die Veränderungen seien im Endprodukt nicht nachzuweisen, sagen die Forscher. Das heisst: Würde ein Agrokonzern das Erbgut im Apfelbaum mit Genome Editing verändern, wäre die Manipulation im Apfel nicht mehr nachweisbar (vgl. gentechfrei Nr. 93, Januar 2017). Deshalb sprechen die Forscher, die Agrokonzerne und inzwischen auch die Bundesbehörden bei diesen neuen Techniken nicht mehr von «Gentechnik», sondern von «neuen Pflanzenzüchtungs-verfahren». «Dieses neue Wording soll den Laien davon ablenken, dass auch hier das Genom von Menschenhand manipuliert wurde», ärgert sich SAG-Präsidentin Martina Munz.

Weil – um bei obigem Beispiel zu bleiben – im Apfel die Genmanipulation nicht mehr nachzuweisen wäre, ist noch unklar, ob ein solcher Apfel unter das Gentechnikgesetz fallen würde. Der Bund, der diesen Entscheid fällen muss, scheint abzuwarten, was die Europäische Kommission macht, die den Entscheid ihrerseits hinauszögert. Fallen sie nicht unter das Gentechnikgesetz, könnten mit Genome Editing hergestellte Pflanzen ohne weitere Sicherheitsprüfung freigesetzt und angebaut werden.
Bewertet der Bund mit Genome Editing hergestellte Pflanzen nicht als GVO, fallen sie nicht unter das Gentechnikgesetz und könnten trotz Gentech-Moratorium angebaut und ohne Deklaration verkauft werden. «In diesem Fall wäre die Moratoriumsverlängerung, über die wir uns jetzt freuen, eine bröckelnde Teillösung», sagt Daniel Ammann, der die SAG mit gegründet hat und sie bis 2012 leitete. Er hofft, dass die neuen Verfahren auch unter das Gentechnikgesetz fallen, denn «sie eröffnen einen grossen Manipulationsspielraum mit derzeit nicht abschätzbaren Folgen». Tatsächlich haben Wissenschaftler bereits zugeben müssen, dass die neuen chirurgischen Genominstrumente doch nicht so präzise sind wie gewünscht und bereits propagiert.

Wie weit wollen wir in die Natur eingreifen?

Fokus 95 Kuh
Greenpeace unterstützte die Moratoriumsinitiative ebenso wie die SP, die Grünen, der Schweizer Landfrauenverband, der Schweizerische Bauernverband, die Kleinbauernvereinigung, der Tierschutz, der Schweizer Vogelschutz, Bio Suisse, IP Suisse, die Erklärung von Bern (heute Public Eye), SWISSAID, die Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz, Pro Natura und WWF. (Bild: Greenpeace Ex-Press Adair)

Herbert Karch, der 2005 die Kampagne für die Gentechfrei-Initiative erfolgreich leitete, findet es auch höchste Zeit, «dass sich die Wissenschaftsgemeinde fragt, ob es für sie ethische Grenzen gebe und wie sie es mit der Selbstverantwortung halte». Eine Wissenschaft, der es um Erkenntnisse gehe, müsse sich selbstkritisch mit ihrem Handeln auseinandersetzen. «Stattdessen diffamiert die Wissenschaftsgemeinde rund um die Gentechnik jeden, der sich kritisch äussert als wissenschafts- und fortschrittsfeindlich», moniert Karch. «Sie sollte sich vielleicht einmal fragen, wem sie eigentlich dient: dem Wohl der Menschheit oder einzelnen Kapitalinteressen?»

«Deshalb», sagt SAG-Präsidentin Martina Munz, «müssen wir kritisch bleiben und nun gemeinsam gegen die Einführung der Gentechnik durch die Hintertür kämpfen.»