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Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 115
Sicherheit und Transparenz sollen dem Profit geopfert werden
Eine neue Studie der EU-Kommission zur Genomeditierung betont vor allem deren Chancen. Auch in der Schweiz lobbyieren Wissenschaftskreise aus dem Bereich der Biotechnologie, wirtschaftsnahe Parteien und auch der Detailhandel für die neue Gentechnik und eine Verw sserung der Gentechnikregulierung. Das Vorsorgeprinzip droht einem kurzfristigen Streben nach Profit geopfert zu werden. Mahnende Stimmen werden nicht gehört, auch wenn juristische Gutachten zeigen, dass auch die Genomeditierung als Gentechnik eingestuft werden muss.
Text: Zsofia Hock, Paul Scherer
Ein neuer Bericht der Europäischen Kommission von Ende April 2021 preist die Genomeditierungsverfahren als vielversprechende Waffe gegen die vielfältigen Probleme, mit denen sich die Landwirtschaft heute konfrontiert sieht. Sie rät daher, das Gentechnikgesetz entsprechend zu lockern. Laut IFOAM Organics Europe basiert dieser Bericht der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (DG SANTE) grösstenteils auf Annahmenzum zukünftigen „Nutzen für die Gesellschaft“, der den neuen gentechnischen Verfahren zugeschrieben wird. Er enthält aber keine soliden Argumente, um die Schlussfolgerung zu untermauern, dass die derzeitige GVO-Gesetzgebung der EU für die neuen Techniken „nicht geeignet“ ist. Auf Grundlage dieser Annah-men will die Kommission neue Rechtsvorschriften zur Förderung neuer gentechnischer Verfahren vorschlagen und eine breit angelegte Konsultation mit Interessengruppen und Mitgliedstaaten einleiten, um einen künftigen Rechtsrahmen zu diskutieren. IFOAM befürchtet, dass der Prozess mit einer gefährlichen Deregulierung dieser Verfahren enden könnte.
Der Bericht der EU-Kommission wird auch die Diskussion in der Schweiz beeinflussen. Hier schickte der Bundesrat Ende November 2020 eine Anpassung des Gentechnikgesetzes in die Vernehmlassung.Er rät, das Gentechnikmoratorium, das Ende 2021 ausläuft, um weiterevier Jahre zu verlängern. Eine solche Verlängerung schien vorerst unbestritten – in der Politik ebenso wie in der Landwirtschaft und bei den Konsumierenden. Doch der bundesrätliche Vorschlag stiess auf unerwartet heftige Kritik – vor allem in Wissenschafts- und Wirtschaftskreisen. Stein des Anstosses war eine klare An-sage: Das Moratorium bezieht sich auch auf die neuen Gentechnikverfahren. Damit folgte der Bundesrat überraschend deutlich der Motion von SVP-Nationalrat Andreas Aebi vom 26.9.2019. Die GVO- Freiheitsei ein wichtiges Element für die Positionierung der Schweizer Lebensmittel im Markt und werde über das Gentechmoratorium abgesichert, so Aebi. Das Moratorium müsse um weitere 4 Jahre verlängert werden, insbesondere weil inden kommenden Jahren der Umgang mit den neuen Züchtungsmethoden im Gentechnikgesetz geregelt werden müsse. Die Verlängerung des Moratoriums schaffe dafür die nötige Zeit. Die rasche Entwicklung der Gentechnologie in der jüngsten Vergangenheit werfe prioritäre rechtliche und technische Fragen auf.
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Die Agrarkonzerne rechnen mit einem Milliardenmarkt, der sich ihnen mit genomedierten Pflanzen und Tieren eröffnen könnte.
Rechtsgutachten: Ausnahmeregelungfür die neuen Mutageneseverfahren nicht begründet
Jemand, der sich seit vielen Jahren mit den rechtlichen Aspekten der Gentechnik auseinandersetzt, ist Christoph Errass, Titularprofessor für öffentliches Recht an der Hochschule St. Gallen. Für Errass ist klar: Die neuen Verfahren der Genomeditierung sind Gentechnik und müssen daher gemäss den Bestimmungen des bestehenden Gentechnikgesetzes reguliert werden. Einzelne Anwendungen der neuen Gentechnik von der Regulierung auszunehmen, wie dies für die herkömmlichen Mutageneseverfahren gemäss der Schweizer Freisetzungsverordnung der Fall ist, wäre rechtlich nicht zulässig. In Anlehnung an die GV-Richtlinie der EU werden in der Schweiz die herkömmlichen Mutageneseverfahren, bei denen mit Hilfe chemischer oder radioaktiver Substanzen Mutationen ausgelöst werden, aktuell nicht als Gentechnik geregelt. Würde das Gentechnikgesetz jedoch eng ausgelegt, könnte nach Einschätzung von Errass auch die Rechtmässigkeit dieses Ausschlusses der Mutageneseverfahren von den Regulierungen des Gentechnikrechts in Frage gestellt werden.
Der alleinige Grund, warum die herkömmlichen Mutageneseverfahren von den EU-Richtlinien für Gentechnik ausgeschlossen worden waren, lag inderen bereits lang andauernder Sicherheit („history of safe use“). Umgekehrt bedeutet dies nach Einschätzung des Rechtsexperten, dass „Mutageneseverfahren, die noch nicht seit langem angewandt werden und als sicher gelten, nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen werden können“. Analog der Strassburger Rechtsprechung zu Asbest dürfe man davon ausgehen, „dass mindestens30 Jahre zugewartet werden muss, bevor ausreichend sicheres Wissen zu den 2012 entdeckten Genomeditierungsverfahren vorliegt und diese deshalb den herkömmlichen Mutageneseverfahren gleichgestellt werden können“, folgert Errass.
Ist die Genomeditierung als gentechnisches Verfahren reguliert, sind die materiellen und formalen Bestimmungen des GTG über den Umgang mit GVO anwendbar. Wer diese Regelungen nicht einhalte, könne strafrechtlich belangt werden – dies gelte auch für Gemeinwesen. Daraus könnten auch Schadenersatzansprüche entstehen, schreibt Errass.
Zum gleichen Schluss kommt das von der SAG bereits 2017 in Auftrag gegebene Gutachten Stauber. Sowohl die europäische wie auch die Schweizer Politik bezüglich GVOs beruhen auf dem Vorsorgeprinzip. „Im Allgemeinen – und umso mehr, falls das Moratorium über die Anwendung von GVOs in der Landwirtschaft aufgehoben wird – sollte ein verantwortungsbewusste Staat eine gewisse Kontrolle über die aus moderner Biotechnologie entstehenden Produkte bewahren. Eine Definition im weitesten Sinn des Rechtsgegenstands GVO bildet hierbei eine unabdingbare Bedingung“ , schreibt der Autor des Gutachtens, der Jurist Maximilian Stauber.
Nur Verfahren, die sich über lange Zeit bewährt haben, sollten von dieser Kontrolle ausgenommen werden. Die neuen Techniken müssen so lange einer Überprüfung unterzogen werden, bis sie gut verstanden werden, ihr Gegenstand genügend bekannt ist und mögliche ökologische oder chronische Gesundheitsschäden Zeit hatten aufzutreten und festgestellt zu werden, folgert das Gutachten. Selbstverständlich ist ein Nullrisiko nicht möglich, doch sind strengeAuflagen umso notwendiger, als bisher die möglichen Risiken den erwarteten (mageren bis nicht vorhandenen) Nutzen der GVO übersteigen.
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Die Genomeditierung beschränkt sich nicht auf die Pflanzenzucht. Auch mit dem Genom von Kühen, Hühnern, Schweinen und Fischen wird im Labor experimentiert, und mit Gene Drives sollen Wildtiere nach Gutdünken genetisch angepasst werden. Eine Deregulierung des Gentechnikrechts wäre daher äusserst fahrlässig.
Industrienahe Wissenschaft blendet Risiken aus – in der Hoffnung auf Profit
Geradezu fahrlässig mutet in diesem Licht die Folgerung der Schweizer Akademien (SCNAT) der Naturwissenschaften an, welche die Wissenschaftsvereinigung in ihrer Stellungnahme vom 25. Februar zur Änderung des Gentechnikgesetzes und zur Verlängerung des Moratoriums für gentechnisch veränderte Organismen veröffentlichte. Die unterzeichnenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kritisieren, dass der Bundesrat gesetzliche Erleichterungen für die Produkte bestimmter gentechnischer Verfahren ablehnt. Laut SCNAT greife das geltende Gentechnikgesetz zu kurz und erlaube keine verantwortungsvolle und inklusive Nutzung der neuen gentechnischen Verfahren.
Das Pikante daran: Die vom Forum Genforschung der SCNAT initiierte Stellungnahme soll die Meinung der gesamten SCNAT repräsentieren. Doch Forschende, die der Gentechnik kritisch gegenüberstehen, wurden in die Unterschriftensammlung nicht miteinbezogen, wie der SAG aus gentechnikkritischen Forschungskreisen zugetragen wurde. So ernennen sich die Pro-Gentech-Lobbyierenden, die im Forum Genforschung der SCNAT organisiert sind, selbst zu alleinigen Repräsentierenden der Wissenschaft, obwohl sie nur einen kleinen Teil der Akademien ausmachen. Mehrere der in der Stellungnahme aufgeführten Expertinnen und Experten besitzen Patente im Bereich der Biotechnologie und sie oder ihre Institute profitieren direkt von einer schwachen Regulierung.
Weiter erachtet das Forum im Gegensatz zu unabhängigen Wissenschaftsorganisationen, (beispielsweise Critical Scientists Switzerland) und zum Bundesrat „die naturwissenschaftlichen Grundlagen als ausreichend, um bereits heute die Risiken der neuen gentechnischen Verfahren so weit zu beurteilen, dass risikobasierte Anpassungen des Gentechnikrechts möglich sind“, wie sie in ihrer Stellungnahme schreiben. Die Praxis zeigt jedoch das Gegenteil: Sogar bei der klassischen Gentechnik, bei der bereits 30 Jahre Erfahrung besteht, werden die Risiken nur ungenügend eruiert, wie das internationale Forschungsprojekt RAGES bestätigt. Vor allem mangelt es an Langzeitstudien. Die sich dynamisch entwickelnden Genomeditierungsverfahren verfügen über gar keine Geschichte der sicheren Nutzung. Nachweise hingegen, dass die Genschere unbeabsichtigte Nebeneffekte verursacht, die sich erst nach längerer Zeit manifestieren, häufen sich.
Strenge Regulierung fördert die Entwicklung von nachhaltigeren Alternativen
Eine strenge Regulierung könne Innovationen negativ beeinflussen, diese viel gehörte Klage wird auch von SCNAT ins Feld geführt. Doch gerade die vorschnelle Anwendung und der Mangel an kritischer Bewertung von lediglich theoretisch auf ihre Machbarkeit überprüften Biotechnologien ist der zentrale Faktor, durch den Innovation verzögert und das öffentliche Vertrauen gefährdet wird, schreiben zwei Biotechnologen in „Nature Reviews“. Neue Anwendungen der Genschere CRISPR/Cas werden oft an Modellpflanzen unter standardisierten Bedingungen getestet. Aus solchen im Labor durchgeführten Experimenten entstehen Hypothesen zur Anwendung beim Anbau von Kulturpflanzen. Oft zeigen sich aber die Schwachstellen der neuen Technologien erst dann, wenn die darauf basierenden Produkte grossflächig angebaut werden.
Würden die neuen gentechnischen Verfahren nicht streng reguliert, kann dieser natürliche, selbstkorrigierende Prozess der wissenschaftlichen Innovation Umwelt und Gesundheit gefährden und zu Verlusten seitens der Nutzer der so entstandenen Produkte führen. Eine strenge Regulierung fördert hingegen Innovationen im Bereich der Alternativen, wie beispielsweise der Agrarökologie, die auch laut Weltklimarat und der Welternährungsorganisation FAO nachhaltigere Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft bietet.
Lukrative Geschäftsaussichten als Motor der Lobbywelle
Neuerdings wirbt die Website sciencebased.ch für die Liberalisierung der neuen gentechnischen Verfahren. Mit fragwürdigen Begründungen: Bis 2050 müsse die Landwirtschaft 50 Prozent mehr Nahrungsmittel bereitstellen. Angesichts von Klimawandel und globalem Bevölkerungswachstum seien innovative Ideen zur Nahrungsmittelproduktion dringend gefragt.Ansätze der Grünen Biotechnologie würden einen wichtigen Beitrag leisten, die Welt nachhaltiger zu ernähren. „So hat die Genschere CRISPR/Cas9, für die Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna 2020 den Chemie-Nobelpreis erhielten, die Pflanzenzucht bereits heute zum Wohle aller revolutioniert. Es wird Zeit, dass auch die Schweiz diese Errungenschaften der modernen Biotechnologie anerkennt“, heisst es auf der Plattform. Ausser der Tatsache, dass Charpentier und Doudna für die Entdeckung der Genschere den Nobelpreis erhalten haben, erscheint die Faktenlage dieser Aneinanderreihung von Schlagworten äusserst fragwürdig – und wenig wissensbasiert zu sein. Betrieben wird die Seite von einer Kommunikationsorganisation, zu deren Kunden unter anderem Bayer, BASF und Syngenta, drei Schwergewichte der Agrarindustrie, gehören. Daneben werden auch Economiesuisse und Scienceindustries als Kunden aufgeführt. Ob diese Kunden auch für die neue Werbeplattform finanziell aufkommen, wird leider nicht transparent gemacht.
Ein genauerer Blick auf die Liste möglicher genomeditierter Pflanzen läst Fragen aus. Wo sind diese Wunderpflanzen? Welche Eigenschaften haben sie und wann werden sie auf dem Markt verfügbar sein? Wieso wird derart heftig für sie lobbyiert und wieso lässt sich die Wissenschaft von der Agrarindustrie derart unkritisch einspannen?
Wie eine Studie im Auftrag von Global 2000 zeigt, bringt die neue Gentechnik lediglich viele leere Versprechen. Mit Eigenschaften wie einer veränderten Fettsäure oder einem erhöhten Ballaststoffgehalt versuchen die Unternehmen eine zahlungskräftige Kundschaft in den reichen Industrienationen anzusprechen, die bereit ist, für (vermeintlich) gesündere Produkte mehr Geld auszugeben. Davon profitieren vor allem jene Grossunternehmen, deren Geschäftsmodell auf der Nutzung geistiger Eigentumsrechte aufgebaut ist. CRISPR/Cas ist kein „demokratisches Verfahren“ für den Mittelstand, sondern Big Business für die Grossen. Jedes Unternehmen, ob klein oder gross, das die Technologie nutzen will, muss zuerst mit den Patentinhaberinnen verhandeln und Lizenzen zahlen. Den Bäuerinnen und Bauern bringen Patente nur steigende Saatgutpreise, eine beschränkte Auswahl und neue Abhängigkeiten.
Klar ist, dass sehr viel Geld im Spiel ist. Gemäss den sogenannten CRISPR Files rechnen die Saatgutunternehmen mit einem Milliardenmarkt. Entsprechend kräftig wird weltweit in Lobbyingmassnahmen investiert. In der EU wird damit Druck auf die EU-Kommission aufgebaut, in der Schweiz auf Bundesrat und Parlament in Hinblick auf die Moratoriumsverlängerung und die zukünftige Regulierung der Genomeditierung. Die einzige Pflanze, für die bislang in Europa ein Zulassungsantrag gestellt wurde, ist gemäss Testbiotech ein herbizidresistenter Mais der Firma Pioneer, der zudem ein Insektengift produziert – ganz nach dem alten Muster. Pioneer hat sich die CRISPR/Cas-Pflanzen in Europa durch Patente schützen lassen und bereits zahlreiche weitere Patentanträge auf die Technologie und entsprechende Pflanzen angemeldet.