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Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 105

Neue Gentechverfahren bei Mikroorganismen

Bisher finden Gentechmikroben in der Getränke- und Lebensmittelindustrie keine direkte Verwendung. Nur Enzyme und Vitamine, die mit Hilfe von Mikroorganismen hergestellt und isoliert werden, kommen zum Einsatz. Doch nun kreieren ZüchterInnen mit neuen Gentechverfahren Mikroben, die ohne artfremde Gene sind. Ob die Industrie sie einsetzt, wird auch von der rechtlichen Regulierung abhängen, deren Revision jetzt zur Diskussion steht. Zeit, einen Blick auf die Entwicklungen zu werfen.

Text: Benno Vogel

Ob bei Milchsäurebakterien für Joghurt und Dickmilch, bei Mikroalgen für Nahrungsergänzungsmittel oder bei Hefen für Brot, Bier und Wein – in den Züchtungslaboren entstehen derzeit eine Reihe neuer Mikroben für die Brauerei- und Lebensmittelbranche, die eines gemeinsam haben: Sie entspringen zwar gentechnischenVerfahren, besitzen aber keine artfremden Gene und verwischen damit die gewohnte Grenze zwischen «herkömmlich gezüchtet» und «gentechnisch verändert». Noch wachsen derartige Mikroben erst in den Petrischalen und Schüttelkolben der Forschung und noch ist es unklar, ob und wann Firmen sie auf den Markt bringen wollen. Klar ist hingegen, dass die Schweiz zu entscheiden hat, welche Vorschriften Firmen bei Markteinführungen der Mikroben einhalten müssten. Der Grund für die herrschende Rechtsunsicherheit sind neuartige gentechnische Verfahren. Wie bei der Züchtung von Tieren und Pflanzen führen sie auch bei der Mikrobenzüchtung zur Kreation von Organismen, bei denen umstritten ist, ob sie rechtlich als GVO oder Nicht-GVO zu klassieren sind und wie sie reguliert werden sollen: Wie GVO nach Gentechnikrecht? Nach den gleichen Vorschriften wie Nicht-GVO? Oder mit neuen, noch zu erlassenden Bestimmungen?

Wie die Antwort ausfällt, dürfte sich Ende 2019 zeigen. Bis dahin will der Bund nämlich die Eckpunkte in die Vernehmlassung schicken, nach denen er neue gentechnische Verfahren und damit auch die neuartigen Hefen, Mikroalgen, Schimmelpilze und Milchsäurebakterien regulieren will, die derzeit in Entwicklung sind.

Um welche Mikroben und Verfahren es dabei geht, zeigt ein Blick in die Züchtungslabore.

Gentech-Hefen für Bier, Wein und Brot

Fokus 105 Hefe
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Eines dieser Labore gehört zum Vlaams Instituut voor Biotechnologie der belgischen Universität Löwen. Dort arbeiten Forschende daran, neue Hefestämme für Bierbrauereien zu kreieren. Eines ihrer Ziele ist es, mit neuen Stämmen die Aromavielfalt von Lagerbieren zu erhöhen. Hefen bringen nicht nur den Alkohol ins Bier, sie bilden während der Gärung auch hunderte Substanzen, die den Geschmack prägen. Mit Hefen, die mit Genom-Editierung verändert wurden, wollen die Forschenden auf das Bieraroma Einfluss nehmen. Das dabei eingesetzte Werkzeug wiederum ist CRISPR. Das Tool also, das seit einigen Jahren für Furore sorgt, weil es die Gentechnik vereinfacht. Es ermöglicht, Gene aus dem Erbgut herauszunehmen, sie auszuschalten oder gezielt einzelne Buchstaben ihrer Sequenz zu ändern, ohne dass Spuren artfremder DNA-Sequenzen zurückbleiben.

Forschende an der Universität von Toronto haben das Erbgut von Weinhefe ins Visier genommen. Mit CRISPR veränderten sie Hefen gentechnisch, indem sie ein bestimmtes Gen ausschalteten. So konnten sie Chardonnay und Cabernet Sauvignon herstellen, die weniger Urethan enthalten – eine krebserregende Substanz, die sich natürlicherweise bei der Gärung bildet.

Neben Bier und Wein könnten auch Backwaren bald mit Hilfe von Gentech-Hefen entstehen. An der Universität von Tianjin in China existieren Geneditierte Backhefen, die das Tiefgefrieren unbeschadet überleben. Diese Kältetoleranz gilt in der Backindustrie als interessant, weil die Hefen auch nach dem Einfrieren eine hohe Triebfähigkeit behalten.

Neuartige Nutzungen von Mikroben

Fokus 105 MikrobenDie Zahl der Vorhaben mit geneditierten Mikroben wächst sehr schnell. Untersuchungen zur Genauigkeit der Verfahren, zu Risiken oder Sicherheit der so veränderten Mikroben und zur Akzeptanz dieser Verfahren bei KonsumentInnen sind dagegen noch sehr selten. (Bild: Shutterstock)

Dass Genom-Editierung auch bei Forschenden in der Schweiz auf Interesse stösst, zeigt die im Februar 2019 vom Netzwerk Swiss Food Research lancierte Arbeitsgruppe Bioconversion. Unter Einbezug von CRISPR verfolgt sie den Plan, neuartige Nutzungen von Mikroben als Nahrungs mittel zu entwickeln. Mitglied der Arbeitsgruppe ist neben der ETH Zürich und der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebenswissenschaften auch Agroscope. Dort wiederum läuft seit 2018 ein Projekt, das CRISPR bei Milchsäurebakterien etablieren will. Damit sollen unerwünschte Gene wie etwa Anleitungen für Toxine oder Antibiotikaresistenzen aus dem Erbgut entfernt und natürlich vorkommende Milchsäurebakterien für die Ernährungswirtschaft besser nutzbar werden – sei es als Bestandteil von Probiotika oder von Starterkulturen für die Herstellung von Käse, Joghurt, Buttermilch und Rohwurst.

Mit ihrem Wunsch, Gene aus Milchsäurebakterien zu beseitigen, stehen die Forschenden von Agroscope nicht allein da. In den Niederlanden hat die Firma NIZO jüngst gezeigt, wie sich mit CRISPR Viren entfernen lassen, die sich im Erbgut der Bakterien eingenistet haben und deren Nutzung als Starterkultur stören. In Dänemark wiederum haben Forschende des Center for Biosustainability der Novo-Nordisk-Stiftung eine CRISPR-basierte Methode entwickelt, um Bakterien von unerwünschten Plasmiden zu befreien.

Risikoforschung fehlt weitgehend

Während die Zahl der Vorhaben mit geneditierten Mikroben wächst, fehlt es weitgehend an Untersuchungen zur Genauigkeit der Verfahren, zu Risiken oder Sicherheit der so veränderten Mikroben und zur Akzeptanz von geneditierten Hefen und Bakterien bei KonsumentInnen. Eine der wenigen Studien in diesem Bereich stammt von der englischen Universität Saint Andrews. Dort haben Forschende die Genauigkeit von CRISPR geprüft und Hefen genauer untersucht, bei denen sie zuvor ein Gen ausgeschaltet hatten. Was sie dabei überraschend entdeckten: Die Hefe hatte Lachs-DNA in ihr Erbgut eingebaut. Diese DNA wird Hefen während der Genom-Editierung zugegeben, weil sie die Effizienz des Verfahrens steigert – ein Einbau ins Erbgut war nicht angestrebt.

Da Untersuchungen zur Genauigkeit, Sicherheit und Akzeptanz Mangelware sind, fehlen wichtige Grundlagen für die Diskussion der anstehenden Fragen: Welche Sorgfalt müssen Firmen beim Umgang mit geneditierten Mikroben an den Tag legen? Braucht es vor deren Markteinführung eine staatliche Sicherheitsprüfung? Welche Anforderungen wären dabei zu erfüllen? Und soll Dritten gegenüber mit einer Kennzeichnung transparent gemacht werden müssen, dass bei der Züchtung Gentechnik zum Einsatz kam?

In der Europäischen Union fallen die Antworten auf diese Fragen derzeit gut aus – zumindest aus Sicht von Umwelt- und Konsumentenschutzorganisationen. Denn dort hat der Europäische Gerichtshof 2018 entschieden, dass geneditierte Organismen unter die Gentechnikgesetzgebung fallen und somit den gleichen Anforderungen an Sicherheit und Transparenz genügen müssen wie herkömmliche GVO. Ob dieses hohe Schutzniveau in der EU Bestand haben wird, ist jedoch unklar. Der Druck aus Forschung und Industrie auf eine Aufweichung der gesetzlichen Vorschriften ist gross und BeobachterInnen sind sich einig, dass nach der Wahl des EU-Parlaments Ende Mai die Diskussion um eine Lockerung des Gentechnikrechts beginnen wird.

Folgt die Schweiz der EU?

Fokus 105 WeinDa Hefe für die Gärung von Wein benötigt wird, rückte auch das Erbgut von Weinhefe ins Zentrum von Forschungsprojekten. Mit CRISPR/Cas haben Forschende ein Hefegen ausgeschaltet und so Weine hergestellt, die weniger Urethan enthalten – eine krebserregende Substanz, die sich natürlicherweise bei der Gärung bildet. (Bild: Shutterstock)

In Bern dürfte der Bund diese Diskussion aufmerksam verfolgen. Um Handelsbeschränkungen mit dem wichtigsten Partner zu vermeiden, wird er sich bei der Regulierung der neuen Gentechnik nämlich an die EU anlehnen müssen. Wie weit er mit der Harmonisierung gehen will, ist derzeit offen.

Offen ist auch, ob er die bei der Cisgenese bestehende Ungleichheit beseitigen wird. Mit diesem Begriff bezeichnen GeningenieurInnen ihr Vorgehen, wenn sie Gene ins Erbgut von Organismen übertragen, die von der gleichen oder einer kreuzbaren Art stammen. Erfolgt die Cisgenese, die mit CRISPR wie auch mit herkömmlicher Gentechnik möglich ist, bei Tieren und Pflanzen, fällt sie unter das Gentechnikrecht – und zwar sowohl in der EU als auch in der Schweiz. Anders ist die Situation bei cisgenen Mikroben: Während sie in der EU bei Markteinführungen immer als GVO gelten, dürfte dies in der Schweiz von Fall zu Fall zu entscheiden sein. Der Grund liegt darin, dass hierzulande die Selbstklonierung und somit bestimmte Formen der Cisgenese vom Gentechnikgesetz ausgenommen sind.

In einigen Ländern sind cisgene Mikroben bereits zugelassen oder auf dem Markt erhältlich. In Japan zum Beispiel, wo cisgene Mikroben keine GVO sind, soll selbstklonierte Hefe für die Herstellung von Reiswein erhältlich sein. In den USA wiederum hat die Lebensmittelbehörde selbstklonierte Back- und Weinhefen als gesundheitlich unbedenklich eingestuft. Weitere Stämme sind in der Entwicklung. An der Technischen Universität München arbeiten Forschende an cisgenen Bierhefen, um die Gärung zu optimieren. An der Tianjin-Universität in China sind selbstklonierte Koji-Schimmelpilze entstanden, mit denen sich Sojabohnen besser zu Sauce fermentieren lassen sollen. Und an der Ben-Gurion-Universität in Israel existieren cisgene Mikroalgen, die eine erhöhte Menge der als gesundheitsfördernd geltenden Substanz Astaxanthin bilden. Sie könnten in pulverisierter Form als Nahrungsergänzungsmittel in die Regale gelangen.

Während Getränke- und Lebensmittelhersteller Vitamine und Enzyme, die in Bioreaktoren aus Gentechmikroben isoliert werden, bereits seit längerem einsetzen, gilt in der Branche die Verwendung von Gentechmikroben selbst bisher als ein No-Go – zu gross ist die Angst vor einem Imageverlust. Ob sich mit den neuen Verfahren daran etwas ändert? Mitentscheidend wird die rechtliche Regulierung sein. Für den Industrieverband LABIP, der Konzerne wie Nestlé, Danone, Dupont, Heineken, Unilever und Lallemand vertritt, ist hierzu die Haltung klar. Er plädiert dafür, Genom-Editierung und Cisgenese wie herkömmliche Züchtungsverfahren zu regulieren – und somit auch von einer Kennzeichnungspflicht auszunehmen.

GVO, Nicht-GVO oder ein bisschen GVO – während die Gesellschaft um einen Entscheid ringt, wie sie Cisgenese und Genom-Editierung regulieren will, hat die Forschung längst Verfahren entwickelt, die über das Ändern einzelner Gene hinausgehen. In China haben Forschende jüngst mit einer Variante der CRISPR-Technik eine gänzlich neue Hefeart kreiert. Statt verteilt auf 16 Chromosomen liegen bei ihr die Erbinformationen auf einem einzelnen Chromosom. Im Projekt «Synthetische Hefe 2.0» arbeiten weltweit mehrere Gruppen an einer Hefe, deren komplettes Erbgut künstlich erzeugt ist. An der ETH Zürich wiederum haben Forschende jüngst eine neue Methode präsentiert, mit der sich die Zeit für die Herstellung künstlicher Genome von bisher zehn Jahren auf ein Jahr und die Kosten von bisher rund 40 Millionen Franken auf etwa 100 000 Franken verringern lassen sollen.

Gut möglich, dass in Zukunft synthetisch veränderte Organismen (SVO) auf den Markt kommen und die Gesellschaft darüber entscheiden muss, ob diese SVO wie GVO reguliert sein sollen.